Südkurier Waldshut, 13.09.2023

 

Der weite Weg zur Eigenständigkeit

Bonndorfer Protestanten lange Diasporagemeinde Ab 1906 wird ein Geistlicher für Stadt abgestellt 1934 offiziell als Kirchengemeinde anerkannt VON MARTHA WEISHAAR

Bonndorf – Die evangelische Gemeinde in Bonndorf besteht seit 1873. Pfarrerin Ina Geib hat darüber eine Chronik verfasst. Auf Basis alter Kirchenblätter, Festschriften, Visitationsberichte, Protokolle, Vorlagen ihrer Vorgänger sowie mündlichen Überlieferungen fasste sie die Geschichte zusammen. Im Gemeindetresor habe sie Zettel, maschinengeschriebene Blätter sowie eine Mappe mit Unterlagen entdeckt. Da sie an geschichtlichen Hintergründen interessiert sei, habe sie weiter geforscht, bis sie am Ende genügend Material für die Chronik zusammen hatte. Sie bezeichnet diese als Plagiat, hatten sich doch bereits in vergangenen Jahrzehnten andere Autoren die Mühe einer Zusammenstellung gemacht.

1871 hatte der Waldshuter Pastorationsgeistliche Ludwig den Oberkirchenrat in Karlsruhe über die Situation der etwa 150 evangelischen Christen im damaligen Amtsbezirk Bonndorf aufmerksam gemacht. Infolge des Baus der Schuhfabrik hatten sich viele protestantische Arbeiter hier angesiedelt, wodurch die Zahl der Gemeindemitglieder zunahm. 1873 fand in der ehemaligen Schlosskapelle der erste evangelische Gottesdienst statt, im Beisein etlicher katholischer Christen. Die Ökumene in Bonndorf lebte von der ersten Stunde an. Das gute Verhältnis zwischen evangelischer und katholischer Gemeinde wird auch in den Folgejahren immer wieder hervorgehoben. Der Waldshuter Pfarrer feierte anfangs jährlich sechs bis acht Gottesdienste in Bonndorf. Die größte Diasporagemeinde Deutschlands sollte aber erst 1934 zur Pfarrei erhoben werden.

Um 1900 wurden 210 evangelische Christen in und um Bonndorf gezählt, man feierte 13 Gottesdienste pro Jahr. Der Pfarrer musste sich dazu einen Tag zuvor von Waldshut aus auf den Weg machen. Bereits damals wurde der erste Kirchenbaufonds aufgelegt. Man wollte eine eigene Kirche errichten. Ein Geistlicher befand, der Raum der Schlosskapelle sei „sehr eng und erfordert in mancher Beziehung vom Gottesdienstbesucher zur heißen und zur kalten Jahreszeit ein beachtenswertes Maß von Selbstverleugnung“. Derweil fällte einer der Geistlichen über seine Schäfchen in Bonndorf ein hartes Urteil: „Der Charakter der evangelischen Gemeinde ist schlecht und recht der einer aus allen Winden zusammengewürfelten Schar. Die Arbeiter der Schuhfabrik sind meist Norddeutsche (Sachsen und Preußen), der bäuerliche Teil ist vorwiegend schwäbischer Herkunft, die Beamten sind fast ausschließlich Unterländer, denen der Schwarzwälder, speziell der hiesige Volkscharakter, nicht besonders zusagt.“

In Bonndorf wünschte man sich einen eigenen Pfarrer. 1906 wurde der Wunsch erfüllt, wenngleich nur ein Pastorationsgeistlicher zugestanden wurde. Da Bonndorf keine Kirchengemeinde war, hatte man kein Anrecht auf einen Pfarrer. Gleichzeitig wuchs die Gemeinde. 1917 wurde Lenzkirch der Bonndorfer Gemeinde hinzugefügt, 1926 Löffingen. Dort lebten 130 evangelische Christen. Diese beklagten, dass am Karfreitag gearbeitet werde und Geschäfte geöffnet seien. Daraufhin erhielt Löffingen 1928 Pfarrrechte, womit öffentliches Arbeiten am Karfreitag untersagt war. Im Visitationsbericht von 1922 werden „sittliche Laxheit und Genusssucht“ der Gemeindemitglieder beklagt. „Evangelischer Stolz“ wird eingefordert, nicht zuletzt, um „der katholischen Kirchlichkeit eine nicht minder treue evangelische Glaubensbezeugung entgegenzustellen“. 1928 wirkte ein Sohn der Rüsselsheimer Familie Opel als „gehorsamer, fleißiger, flinker“ Vikar „mit klugem Gesicht sowie sehr guter Stimme“ in der Region. Der habe sogar ein Auto, mit dem sich die weiten Wege zu den Gotteshäusern komfortabel bewältigen ließen. Irgendwann landete dieses allerdings reparaturbedürftig in einer Scheune und die Geistlichen mussten sich wieder zu Fuß oder mit geliehenen Motorrädern auf die weiten Wege machen.

Als Bonndorf 1933 Kirchengemeinde werden sollte, hätte man zwar den Vorteil gehabt, Ortskirchensteuer eintreiben zu dürfen und einen Pfarrer vor Ort zu haben, allerdings hätte die Gemeinde diesen aus eigenen Mitteln bezahlen müssen. Also berichtete man dem Oberkirchenrat vorsichtshalber, die Zahl der Gemeindemitglieder sinke und es reiche bald nicht mehr für eine Gemeinde. Der Rat konterte, „ob man Bonndorf nicht zugunsten von Löffingen aufgeben sollte, wo regeres kirchliches Treiben herrscht“. Bonndorf wäre dann Filialkirche, der Pfarrer hätte seinen Sitz in Löffingen. Rasch besann man sich, dass die „Seelenzahl doch nicht so nachließe“ und man nun doch Kirchengemeinde werden wolle. 1934 war es soweit. Zur Gemeinde zählten 20 Ortschaften. Im selben Jahr wurde auf eigene Kosten die Schlosskapelle renoviert. Den Wunsch, diese zu kaufen, hatte die Stadt verweigert. Auch in der Badhofkapelle in Bad Boll wurden Gottesdienste gefeiert.

Im Zweiten Weltkrieg musste Pfarrer Sulzberger wegen seines jüdischen Großvaters die Gemeinde verlassen. Der Schweizer fand in seinem Herkunftsland Zuflucht. 1942 kam Pfarrer Grässlin. Seit damals lautet die Telefonnummer der evangelischen Gemeinde unverändert 348. Grässlin muss „eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein, eine wahrhafte Prophetengestalt mit schwarzem Bart, stets begleitet von einem großen, schwarzen Hund“. Er sei ein unermüdlicher Kämpfer für seine 1428 Schäfchen in 43 Ortschaften aus drei Landkreisen auf einem Gebiet von 750 Quadratkilometern gewesen. 1800 Kilometer fuhr der Pfarrer monatlich, und das bei drastischem Treibstoffmangel.

1947 folgte Pfarrer Wäldin. Unter seiner Ägide wurde im selben Jahr ein gemischter Kirchenchor gebildet. Ein Jahr später gab es eine erste Liste von Kirchenältesten. Drei Kirchen wurden während der Dienstzeit Wäldins gebaut: in Bonndorf, Löffingen und Lenzkirch. Den Bauplatz in Bonndorf schenkte die Stadt, ebenso das Bauholz. 1953 war Grundsteinlegung, ein Jahr später Einweihung der Pauluskirche für damals 550 evangelische Christen. 1957 folgte Dr. Deffner als Pfarrer, der mit seiner extrem langsamen Fahrweise Aufmerksamkeit erregte. Die Schnecken hätten vor ihm keine Angst. Sie schafften es über die Straße, bevor er käme, soll ein Vikar angemerkt haben.

1958 erhielt die Gemeinde ihre erste Kirchenglocke, von der sie sich fünf Jahre später wieder trennte. Der katholische Kollege war übrigens einer der ersten, die dafür spendeten. 1959 folgte eine weitere Stahlglocke und 1963 drei Bronzeglocken. 1966 vervollständigte eine Orgel die Ausstattung der Pauluskirche. An, in und um diese wurde in den Jahrzehnten ihres Bestehens mehrmals gebaut oder renoviert. 1960 wurde der Kirchplatz geteert. Ausgerechnet an dem Tag, als ein Urlauberpaar hier heiraten wollte. Die Brautleute mussten über die Fenster des Gemeindesaals einsteigen, um zum Altar zu gelangen. Deren Kinder waren davon offenbar so beeindruckt, dass auch sie sich in Bonndorf trauen ließen – ohne Fensterakrobatik.

In den Folgejahren prägten Ulrich Müller-Froß und Thomas Jammerthal als Pfarrer die Gemeinde, ehe vor 17 Jahren Ina und Mathias Geib übernahmen. Unter deren Regie erfolgte 2009 eine umfassende Renovierung der Pauluskirche.

Veränderung

Der evangelischen Kirchengemeinde steht eine große Veränderung bevor. Das Pfarrer-Ehepaar Ina und Mathias Geib geht in den Ruhestand. 17 Jahre lang waren sie in der Gemeinde aktiv. Die Verabschiedung von Ina und Mathias Geib ist für den 24. September geplant. Nach einem Gottesdienst um 16 Uhr besteht die Möglichkeit zu Gesprächen bei einem gemütlichen Miteinander. Wer bei der Pfarrerstelle auf das Ehepaar folgt, ist bislang noch nicht offiziell bekannt.