Badische Zeitung Kaiserstuhl, Breisgau West, 24.05.2023

 

„Das ist natürlich entsetzlich“

Was hat Staufens Pfarrer Michael Maas von den Missbrauchstaten in der katholischen Kirche gewusst? Wie hat er auf Betroffenenbriefe reagiert, und was sagt er über seinen einstigen Chef Robert Zollitsch? Die BZ hakt nach.

Staufens Pfarrer Michael Maas wollte sich erst nicht zum Gutachten über die Missbrauchstaten durch Kleriker im Erzbistum Freiburg in der Badischen Zeitung äußern. Nachdem die BZ über seine ablehnende Entscheidung berichtete, willigte er doch in ein schriftliches Interview ein.

Der Freiburger Missbrauchsbericht macht einen intransparenten Umgang mit dem Thema deutlich. War Ihr Schweigen jüngst nicht in gewisser Weise eine Fortsetzung dieser Intransparenz?
Michael Maas: Dass dieser Eindruck entstehen konnte, bedauere ich sehr. Das war nicht meine Intention. Ich hatte, als die Frage aufkam, dass ich mich zum Bericht der AG Aktenanalyse melden solle, nicht damit gerechnet, dass ich zu meiner eigenen Person befragt werden sollte. Und allgemein wollte ich meinen Eindruck zu der Frage, wie mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ im Erzbistum Freiburg umgegangen wurde, nicht äußern, weil ich selbst von vielen Erkenntnissen im Bericht überrascht wurde und mir nicht anmaßen wollte, es besser zu wissen als diejenigen, die über Jahre zu diesem Thema Nachforschungen unternommen hatten. Wenn es mir um einen intransparenten Umgang mit dem Thema allgemein gegangen wäre, hätte ich auch im Pfarrblatt zu diesem Thema nichts geschrieben. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass wir als Kirche nur durch einen offenen, ehrlichen Umgang in dieser Frage weiterkommen, was ich jetzt mit meinen Antworten deutlich machen möchte.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Missbrauchsgutachtens?
Maas: Es hat mich vor allem schockiert, dass in unserem Erzbistum auch nach 2010 noch gravierende Fehler begangen wurden. Ich hatte das nicht für möglich gehalten. Dass ich das nicht mitbekommen habe, lässt mich auch zweifeln: Warum habe ich das nicht gesehen? Daraufhin habe ich mich nochmal sehr genau geprüft. Aber ich war in Entscheidungsprozesse nicht eingebunden und hatte vom öffentlichen Auftreten von Erzbischof Zollitsch her einen anderen Eindruck. Ich fühle mich hier – genau wie viele andere in unserer Kirche – von ihm getäuscht. Das schmerzt und verunsichert mich.

Was haben Sie dort Neues erfahren?
Maas: Vieles war für mich in diesem Bericht neu. Ich war davon ausgegangen, dass wir als Erzbistum etwa ab Mitte 2010 angemessen mit den Vorwürfen sexuellen Missbrauchs umgegangen sind, spätestens aber ab dem Zeitpunkt, als zu Beginn des Jahres 2011 eine externe Ansprechperson für diese Fragen gefunden worden war. Dass für mich so vieles im Bericht neu war, lag vor allem daran, dass ich in meiner Tätigkeit als Bischofssekretär nie mit Personalfragen beschäftigt war. Deshalb wurde ich von Verantwortlichen der AG Aktenanalyse nicht befragt, was zeigt, dass ich in diesem Bereich keine Rolle gespielt habe.

Was haben Sie getan, als Sie erfahren haben, dass Erzbischof Zollitsch einen beschuldigen Priester versetzt hat?
Maas: Genau davon habe ich eben nicht erfahren. Zu meinen Aufgaben gehörte es, Teile der Post, die bei Erzbischof Zollitsch eingegangen ist, zur Bearbeitung an die jeweils zuständigen Personen zu verteilen. Daher sind auf meinem Schreibtisch, wie ich schon im Pfarrblatt geschrieben habe, auch Briefe gewesen, in denen Betroffene geschildert haben, was sie erleiden mussten. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, jemals mitbekommen zu haben, dass ein Beschuldiger oder gar Täter einfach auf eine andere Stelle versetzt wurde.

Haben Sie versucht, Erzbischof Zollitsch an seine Verpflichtung zu erinnern, den Fall untersuchen zu lassen und der Glaubenskongregation zu melden?
Maas: Dass man diese Fälle an die Glaubenskongregation melden muss, wusste ich tatsächlich bis vor Kurzem noch nicht. Erzbischof Zollitsch muss es damals gewusst haben, und dass er die Meldungen unterlassen hat, ist für mich unerklärlich.

Was meinen Sie, was es für die alte und für die neue Gemeinde von Missbrauchstätern bedeutet hat, dass sie nie erfahren hat, warum ihr Pfarrer in Wahrheit versetzt wurde?
Maas: Das ist natürlich entsetzlich. Denn es bedeutet, dass dadurch die Möglichkeit weiterer Verbrechen deutlich erhöht war. In der alten Gemeinde wurde es hingegen noch schwieriger, sich als Betroffener zu melden. Für eine Kirche, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, bei den Schwachen zu sein, unverständlich und eine zusätzliche Beschädigung der Glaubwürdigkeit der Betroffenen.

Wie haben sich die Gerüchte wohl auf das Gemeindeleben ausgewirkt?
Maas: Wie sich Gerüchte immer auswirken: Sie haben das Potential zu spalten und auszugrenzen. Deshalb ist es notwendig, offen und ehrlich alles anzusprechen. Nur so kann es einen guten Schritt nach vorne geben.

Was war die Folge für die von Missbrauch Betroffenen?
Maas: Das kann sich individuell sicher unterschiedlich ausgewirkt haben. Für viele mag es noch schwieriger geworden sein, sich als Betroffener, als Betroffene zu melden. Anderen, die sich geäußert haben, wurde vielleicht nicht geglaubt.

Nachdem Sie als Sekretär von den Schilderungen sexuellen Missbrauchs erfahren hatten: Fühlen Sie sich schuldig?
Maas: Ich empfinde angesichts der ganzen Thematik und dem falschen Agieren seitens der Kirche einen großen Schmerz. Persönlich schuldig könnte ich mich nur dann fühlen, wenn es mir möglich gewesen wäre, den falschen Umgang mit Betroffenen oder Tätern zu verhindern. Diese Möglichkeit hatte ich allerdings nicht: Zum einen, weil es außerhalb meiner Zuständigkeit lag. Und zum anderen, weil ich nicht darum wusste, dass der Umgang mit ihnen falsch war.

Wie viel moralische Verantwortung tragen Sie für die Vertuschung?
Maas: Wie gesagt: Eine eigene Schuld für die Vertuschung dieser Taten kann ich nicht erkennen und damit auch keine moralische Verantwortung. Ganz allgemein frage ich mich, ob mein Blick in der Vergangenheit genügend darin lag, die Perspektive der Betroffenen einzunehmen oder ob ich nicht doch zu sehr von der Institution Kirche her gedacht habe.

Inwiefern sind Sie tätig geworden, nachdem Sie von den Schilderungen erfahren haben? Würden Sie da heute etwas anders machen?
Maas: Als mich ab Anfang 2010 Briefe mit Schilderungen von sexuellem Missbrauch durch Priester erreichten, habe ich sie entsprechend meiner Aufgabe an den Missbrauchsbeauftragten weitergegeben. Ich war der Auffassung, dass von da an in korrekter Weise damit umgegangen wurde. Einen Anhaltspunkt, dass das nicht so gewesen sein könnte, habe ich nicht gesehen. Daher hielt ich mein Handeln für angemessen. Mit dem Wissen von heute hätte ich dazu vielleicht mehr nachfragen müssen. Zugleich frage ich mich: Mit welcher Berechtigung hätte ich das damals tun sollen?

Was waren Ihre Aufgaben als Bischofssekretär im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen?
Maas: Wie gesagt habe ich entsprechende Briefe zur Bearbeitung weitergeleitet. Alles andere haben – davon bin ich ausgegangen – die entsprechend Zuständigen übernommen. Dem Bericht nach wurden sie in ihrer Tätigkeit von Erzbischof Zollitsch ausgebremst.

Welche Rolle sehen Sie bei der von Ihnen so genannten „schmerzhaften Aufarbeitung“ für sich selbst vor?
Maas: Ein erster Teil der Aufarbeitung ist es, den Blick vor dem Versagen der Kirche und deren Amtsträgern nicht zu verschließen. Das tut mir – wie vielen Kirchenmitgliedern – weh und schmerzt, ist aber notwendig, um die Bedeutung zu erkennen. Dann gilt es, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Manches davon ist bereits geschehen, anderes muss und wird noch folgen. Sehr gut ist etwa die Prävention, die in der katholischen Kirche aufgrund dieser schrecklichen Taten aufgebaut wurde und die solche Taten verhindern will. Ich konnte schon selbst erleben, dass etwa Präventionsschulungen eine positive Wirkung haben, beispielsweise wenn Jugendliche aus unterschiedlichen Lebensbereichen auf Situationen aufmerksam wurden, in denen sich jemand nicht gut verhalten hatte, sie sensibel für grenzachtendes Verhalten wurden. Deshalb engagiere ich mich auch jetzt als Leitender Pfarrer in der Pfarrei gemeinsam mit Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in der Präventionsarbeit.
Zudem will ich Kinder stärken, damit sie sagen können, wenn sie sich unwohl fühlen. Ich will meinen Blick für die Schwachen und Bedürftigen schärfen und noch stärker darauf achten, wie ich meinen priesterlichen Dienst im Miteinander mit der Gemeinde ausübe. Diejenigen, die in der Kirchengemeinde Staufen-St. Trudpert Verantwortung tragen, setzen sich dafür ein, dass Kirche ein sicherer Ort für Kinder und Jugendliche ist.

In welcher Form und in welchem Umfang sind Gemeindemitglieder zuletzt mit Fragen an Sie herangetreten?
Maas: In den vergangenen Tagen sind viele Gemeindemitglieder an mich herangetreten. Sehr viele haben mir signalisiert, dass sie mich als glaubwürdig einschätzen und dankbar für meine Arbeit sind. Das freut mich. Einzelne haben sich kritisch geäußert. Auch ihnen bin ich dankbar. Denn nur im Gespräch lassen sich Dinge klären. Dazu bin ich bereit.

Inwiefern ist heute und in Zukunft eine vertrauensvolle (Zusammen-)Arbeit in der Seelsorgeeinheit mit dem Pfarrgemeinderat und den Gläubigen möglich?
Maas: Wir hatten am vergangenen Mittwoch eine außerplanmäßige Pfarrgemeinderatssitzung, in der ich mich den Fragen der Mitglieder dieses Gremiums gestellt, meine Aufgabenbereiche als Bischofssekretär erläutert und mich vom Fehlverhalten von Erzbischof Zollitsch distanziert habe. Daraufhin hat das Gremium einstimmig bekräftigt, weiterhin mit mir vertrauensvoll zusammenarbeiten zu können. Aus der Gemeinde habe ich zuvor schon viel Resonanz erhalten. Sehr viele Gläubige haben mir versichert, dass sie mein Wirken schätzen und sie mich als korrekt und glaubwürdig erfahren haben. Andere hatten kritische Fragen. Für beides bin ich dankbar. Mit diesem Interview hoffe ich, auch diejenigen zu erreichen, die sich nicht gemeldet haben und weiterhin Fragen haben. Mir ist wichtig, in der Kirche dazu beizutragen, die Menschen im Glauben und damit für ihr Leben zu stärken. Das habe ich selbst als Kind und Jugendlicher erfahren und das will ich gerne weitergeben.