„Ein tiefer Ausdruck von Missachtung“
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Fall Robert Zollitsch
ANNETTE ZOCHIm Februar 2010 meldete sich die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in den Tagesthemen zu Wort, es ging um Missbrauch in der katholischen Kirche. Sie erwarte, dass die kirchlichen Verantwortlichen „endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben, mit aufklären“, sagte die FDP-Politikerin. Ihr Eindruck sei nicht, dass sie „ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser und lückenloser Aufklärung gezeigt haben“. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz war damals Robert Zollitsch. Er schäumte, sprach von der „seit Jahren schwerwiegendsten Attacke“ einer Bundesregierung gegen die katholische Kirche. Die Ministerin habe „maßlos gegen die Kirche polemisiert“. Er setzte ihr ein Ultimatum, sich zu entschuldigen. In dieser Woche wurde ihm durch Gutachter bescheinigt, als Erzbischof jahrzehntelang Missbrauchsfälle vertuscht zu haben.
SZ: Erinnern Sie sich an noch Ihren Konflikt mit Robert Zollitsch?
Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich. Das gab es meines Wissens noch nie, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz einer Bundesministerin ein Ultimatum gestellt hat. Mit mir direkt hat er ja zunächst gar nicht gesprochen, sondern sich an die Bundeskanzlerin gewandt. Da sollte also die Vorgesetzte ihre Ministerin mal zur Ordnung rufen, das war schon ein tiefer Ausdruck von Missachtung dessen, was ich zu verantworten hatte, nämlich die Unabhängigkeit von Justiz und Staatsanwaltschaften.
Angela Merkel telefonierte dann mit Zollitsch. Was hat sie Ihnen davon erzählt?
Sie hat mich hinterher kurz informiert, was sie genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Zollitsch hat sein Ultimatum dann zurückgenommen. Ich habe meine Haltung aber natürlich nicht verändert. Ich hatte den Eindruck, dass auf Seiten der Kirche nicht wirklich große Bereitschaft vorhanden war, aufzuklären und vor allem auch die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Man hat sehr stark auf innerkirchliche Richtlinien gepocht und auch Wert darauf gelegt, dass nicht die katholische Kirche alleine im Fokus stehen solle. Das war auch mein Eindruck beim Gespräch mit Herrn Zollitsch. Damals wussten wir noch nicht, wie die Dimensionen sich noch entwickeln würden beim sexuellen Missbrauch.
Was denken Sie heute, wenn Sie lesen, dass Zollitsch Aufklärung und Aufarbeitung auch nach 2010 behindert haben soll?
Ich habe schon im vergangenen Herbst, als er ein Video veröffentlicht und sich bei Betroffenen entschuldigt hat, gedacht: Naja, aus so einer Entschuldigung folgt ja nichts. Leider hat sich das, was ich damals schon vermutet hatte, nun durch die Aufarbeitung in Freiburg bestätigt. Die Verantwortlichen haben wenig bis gar nicht mit der Justiz kooperiert. Die Kirche stand als Institution im Vordergrund, und an die vielen Menschen, deren Leben ja dadurch teilweise schwer beschädigt wurde, haben sie nicht gedacht.
Die Kirche darf sich selber aufklären, es gibt keine staatliche Aufarbeitung. Hat sich die Politik einwickeln lassen?
Das denke ich nicht. Es gab ja den Runden Tisch, es gab mit Christine Bergmann die erste Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, es gibt die Unabhängige Aufarbeitungskommission. Ob eine Wahrheitskommission des Bundestages mehr gebracht hätte, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, es ist schon einiges gemacht worden, aber sie können in eine Institution von außen nur begrenzt hineinschauen. Und natürlich hat die Kirche das Recht, sich mit ihren inneren Angelegenheiten selbst zu befassen. Sexueller Missbrauch aber ist eine Straftat, und diese ist Sache der Justiz.
Die Justiz ist aber nach 2010 auch nicht gerade im großen Stil bei den Diözesen vorstellig geworden.
Die Diözesen haben sich damals sehr unterschiedlich verhalten und wohl auch nicht alle Akten herausgegeben. Wie viele Fälle durch diese zögerliche Kooperation mit den Staatsanwaltschaften am Ende verjährt sind, das kann ich leider nicht mit Zahlen belegen. Aber das beschäftigt und belastet mich natürlich als Juristin, die auf unseren Rechtsstaat setzt. Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen, das Menschen im Kern beschädigt.
INTERVIEW: ANNETTE ZOCH