Badische Zeitung Freiburg im Breisgau, 19.04.2023

 

Opferverbände üben weiterhin Kritik

Vor dem Freiburger Münster protestieren Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Kirche. Alt-Erzbischof Robert Zollitsch werfen sie „hohe kriminelle Energie“ vor.

Da ist dieser Mann, eine imposante Erscheinung, bizarr kostümiert und geschminkt. Auf der selbstgebastelten Mitra steht seine Forderung „Schwule Päpstin Pädofrei“, dazu falsche Pippi-Langstrumpf-Zöpfe. Günter Nakath, so heißt er, ist ehemaliger Lehrer, kommt aus Pforzheim und sagt, dass auch er als Kind in der Familie missbraucht worden sei. Man sieht den 69-Jährigen oft im Umfeld von Missbrauchsprozessen in Süddeutschland, so auch an diesem Dienstag. Da steht er vor der katholischen Akademie in Freiburg und begrüßt die Ankommenden zur Pressekonferenz mit einem selbstgemalten Pappschild: „Zum Teufel mit Bischöfen, die Missbrauch vertuschen.“ Eine Teufelsmaske hat er daran befestigt. Wenig später geht Nakath, der recht bunte Selbstdarsteller in dieser traurigen Causa, runter auf den Münsterplatz.
Dort protestieren, weniger schrill, die Betroffeneninitiative Süddeutschland, der Verein Eckiger Tisch und die Giordano-Bruno-Stiftung. Sie wollen auf die laut ihrer Meinung nach wie vor prekäre Lage der Missbrauchsbetroffenen in der katholischen Kirche aufmerksam machen, für Anerkennung der Opfer eintreten und dafür, diese zu entschädigen. Die Pressekonferenz wird im Livestream verfolgt.


Eine Dame kommt hinzu. Gebürtige Elztälerin sei sie, 82 Jahre alt, aufgewachsen in einem bigotten Dorf, in einer Klosterschule habe sie „schreckliche Erfahrungen“ gemacht. Schon vor 30 Jahren seien sie und ihr Mann aus der Kirche ausgetreten. „Wir hatten die Nase voll von dem ganzen Zirkus.“ Sie sei heute nach Freiburg gekommen, erzählt sie weiter, weil sie in der Zeitung das Foto vom „Hängemattenbischof“ gesehen hätte. Das Werk des Künstlers Jacques Tilly ist ebenso wie der Demonstrant Nakath oft dort zu sehen, wo es um Missbrauch und Pädophilie in der katholischen Kirche geht.


Vor dem Münster ein Plakat mit der Aufschrift: „Das ist die katholische Kirche: Missbrauch vertuschen. Entschädigungen auf die lange Bank schieben. Aber Milliarden bunkern!“ Neben dem Schild jene zitierte lange Bank. Nur 60 Zentimeter davon sind grün, in der Farbe der Hoffnung. Dann eine 4,30 Meter lange Tischgarnitur in Violett, der Farbe von Demut und Buße. Schließlich etliche Meter in Rot, der liturgischen Farbe für die Opfer, wie David Farago, Schreinermeister, Aktionskünstler und im Dienst der Giordano-Bruno-Stiftung, sagt. Er kämpft gegen die soeben ertönenden Kirchenglocken an und erzählt: „Die Bank ist meine Antwort auf den langjährigen Missbrauchsbeauftragten Bischof Ackermann aus Trier, der bei jedem Pressetermin gesagt hat, die Kirche schiebe nichts auf die lange Bank.“ Er selbst sei Heimkind gewesen und Ministrant, wuchs bei religiösen Pflegeeltern auf. „Ich wäre das perfekte Opfer gewesen. Ich hatte Glück, aber ich wollte nicht mehr weggucken.“ Die Missbrauchsopfer der Kirche würden alleine gelassen, von der Politik, Justiz und Gesellschaftschaft, sagt Farago.


Nun also die Veröffentlichung des Missbrauchberichts des Erzbistums Freiburg. Auch Raphael Hildebrandt aus Oberharmersbach ist gekommen, er vertritt die Betroffeneninitiative Süddeutschland. Sein Fall ist bekannt, er wurde über Jahre hinweg vom Dorfpfarrer missbraucht. Ein aufrührender Tag sei dies gewesen, sagt er. Positiv stimme ihn, dass die Opfer nun endlich schwarz auf weiß hätten, dass damals vertuscht worden ist. Das schaffe eine gewisse Genugtuung. „Doch wie kann es sein, dass einer wie Zollitsch noch frei herum läuft?“, fragt er. Sorge habe er, dass das Gutachten keine Konsequenzen hätte hinsichtlich von Strafverfahren oder Entschädigungszahlungen. „Da vermisse ich ein Konzept.“


Matthias Katsch vom Verein Eckiger Tisch findet die Pressekonferenz, die er am Stehtisch vor dem Münster verfolgt, „schwer erträglich“. Dass Namen, Orte und Tatumstände bei der Aufarbeitung nicht genannt würden, würde die Aufarbeitung wieder um Jahre verzögern. „Eine elend lange Geschichte für die Betroffenen.“ Der Bericht sei nur ein kleiner Schritt in dieser endlosen Reise. Dann wird er deutlich: „Mit hoher krimineller Energie hat Robert Zollitsch über Jahrzehnte Verbrechen seiner Priester an hunderten von Kindern und Jugendlichen vertuscht und vor der Justiz verborgen gehalten.“ Und auch der aktuelle Freiburger Erzbischof Stephan Burger wird kritisiert: „Mit Worten wie ‚Fehlverhalten‘ ist das Handeln des ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und seiner Vorgänger jedenfalls nicht im Ansatz richtig eingeordnet.“
Am Dienstagabend fanden sich auf der Südseite des Freiburger Münsters mehr als 150 Menschen für eine gemeinsame Schweigeviertelstunde ein. Drei reformorientierte katholische Gruppen hatten zu der Aktion aufgerufen, unter anderem Maria 2.0. Man wolle ein Zeichen setzen, sagt Gabi Schmidhuber von Maria 2.0, und an der Seite der Betroffenen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Freiburg stehen. Als die Glocken des Münsterturms sechs Uhr schlagen, kommt der Alltag vorübergehend zur Ruhe. Still und bewegungslos stehen die Menschen nebeneinander auf dem Platz, die meisten bleiben auf Abstand. Warum das Schweigen? Schmidhuber sagt: „Weil bereits alles gesagt ist.“ Und man sich nicht ständig wiederholen wolle. Schmidhuber ist frustriert. Sie könne nicht verstehen, dass die katholische Kirche in ihren Strukturen verharre, obwohl doch das Schlimmste passiert sei, was passieren könne: „Der Missbrauch an Kindern und Jugendlichen.“


„Sprachlos“, „fassungslos“, „unfassbar“ sind Wörter, die an diesem Abend auf dem Münsterplatz oft fallen. Später, als wieder gesprochen wird.