Pforzheimer Kurier, 15.04.2023

 

„Türöffner“ für die Schloßkirche gefunden

Oliver Linde

Geschichtsträchtiges Gotteshaus ist dank Nachbarschaftshilfe wieder täglich geöffnet

Wenn Gläubige vor einem Altar zum Gebet niederknien, dann ist das eigentlich nur aus katholischen Gotteshäusern bekannt. Doch Pfarrerin Heike Reisner-Baral beobachtet dies in der evangelischen Schloß- und Stiftskirche St. Michael immer öfter. Sie freut sich daher, dass das geschichtsträchtige Gebäude nicht nur auf dem Papier zur ökumenischen Citykirche im Kreis der Friedenskirchengemeinde geworden ist. Orthodoxe Christen und Muslime kommen ebenfalls vermehrt, um die Schloßkirche nicht nur zu besichtigen, sondern in ihr auch in ihrem Glauben einen Ort zum Innehalten, zum Gebet zu finden. Und dies ist jetzt wieder in der „offenen Kirche“ bis Oktober täglich möglich.

Daher ist die Seelsorgerin froh, dass für „Pforzheims steinernes Geschichtsbuch“, in dessen Gruft sich die Grablege der badischen Markgrafenfamilie (von 1535 bis 1860) befindet, das Kirchenportal am Schloßberg nicht nur bei Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen offen steht. Diese ausgenommen, kamen im vergangenen Jahr von April bis Oktober mehr als 7.000 Besucherinnen und Besucher in die Schloßkirche. Da mittlerweile alle Einschränkungen bezüglich der Corona-Pandemie weggefallen sind, geht sie davon aus, dass diese Zahl noch weiter steigen wird. Dabei wäre dies fast den Sparmaßnahmen der evangelischen Kirche in Pforzheim zum Opfer gefallen.

Für die Schloßkirche wurde die Hausmeisterstelle gestrichen und so blieb die Frage, wer sie täglich öffnet und abschließt, lange ungelöst. Die Idee, dass die gegenüberliegende Tourist-Information der Stadt Pforzheim dies übernehmen könnte, zumal sie für Führungen bereits Schlüssel besitzt, erwies sich als Fehlschlag. Der städtische Eigenbetrieb Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP), zuständig für die Tourist-Information, verwies darauf, dass man „mangels verfügbarer Ressourcen“ das Auf- und Abschließen des Kirchenportals nicht übernehmen könne. Pfarrerin Reisner-Baral zeigt darüber verwundert, will das – darauf angesprochen – jedoch nicht öffentlich bewerten. Sie verweist nur darauf, dass sich der WSP auch an das städtische Rechtsamt gewendet habe, das Bedenken geäußert habe. So gab es die Antwort, man müsse sich leider damit abfinden, dass die Schloßkirche nicht mehr öffentlich zugänglich sei, wenn die evangelische Kirchengemeinde die Hausmeisterstelle nicht mehr besetzen könne. Dazu wurde angemerkt, dass man sich darüber bewusst sei, dann statt einer „offenen Kirche“ eine geschlossene Schloßkirche zu haben, und das bedauere.

Auch der Verein „Freunde der Schloßkirche“ hatte das Thema für seine nächste Vorstandssitzung, die Anfang Mai stattfindet, auf die Tagesordnung gesetzt, um möglicherweise eine Lösung zu finden. Die gibt es nun bereits jetzt, sozusagen auf dem kleinen Dienstweg. Ein Vorstandsmitglied fragte bei den Betreibern der benachbarten Einnehmerei mit dem Wirtshaus Lehners und dem Burgerheart an, ob sie sich vorstellen können, „Türöffner“ für die Schloßkirche zu sein. Wohl wissend, dass die beiden Lokale erst um 11.30 und 17 Uhr öffnen. Für Geschäftsführer Michael Pfisterer und seine Frau Tanja war das kein Hindernis. Sie hätten ja einen Hausmeister, so dass nun die Schloßkirche morgens um 9 Uhr aufgeschlossen wird. Für abends und am Wochenende konnte die Kirchengemeinde einen ehrenamtlichen Schließdienst organisieren.

So sind sich die Einnehmerei und die Schloß- und Stiftskirche St. Michael noch näher gerückt. Wobei die Küche des Nachbarn unter anderem beim Star-Organisten Cameron Carpenter nach der Einweihung der neuen Orgel für ein Aha-Erlebnis im Lehners gesorgt hatte. Mittags wünschte er sich Salate und Gemüse nebst Pute, am Abend wieder dieselben Beilagen mit Rind. Der Tisch war für ihn allein in der Schloßkirche gedeckt worden. Anschließend ließ Carpenter übermitteln, dass er hier „super gegessen“ habe ... da komme nicht mal die Carnegie Hall in New York mit!

Die Steuereinnehmerei war einst 1699 erbaut worden und beherbergte vor der Zerstörung beim Luftangriff auf Pforzheim am 23. Februar 1945 das Reuchlinmuseum. Vor 20 Jahren wurde sie fast originalgetreu durch das Brauhaus Pforzheim wieder aufgebaut, selbst Pforzheimer Bewohner sehen in ihr ein historisches Bauwerk. Mit der Schloßkirche, die als frühgotische Basilika um 1220 gebaut wurde und eine vorangehende Burgkapelle ersetzte, war die Einnehmerei mit dem original erhaltenen Archivbau ein Teil der einstigen Schlossanlage.

Die Schloß- und Stiftskirche St. Michael, die nach ihrer Zerstörung auf Initiative der damaligen Stiftung der Freunde der Schloßkirche von 1947 bis 1957 wieder aufgebaut wurde, ist nunmehr nicht nur wieder tagsüber geöffnet, in ihr findet am 5. Mai auch eine besondere Veranstaltung „Zur Nacht“ statt. Bei Kerzenlicht gibt es von 21 Uhr an besondere Kirchenführungen, die über eine steinerne Wendeltreppe bis unters Dach führen. Zudem freut sich Pfarrerin Heike Reisner-Baral, dass sie vom Haus Baden die Erlaubnis erhalten hat, dass ein Blick in die Gruft mit den Särgen der Markgrafen-Familie möglich sein wird.

Ein virtueller 360-Grad-Rundgang um und durch die Schloßkirche nebst Museum Johannes Reuchlin ist im Internet abrufbar unter .