Südkurier Überlingen, 11.04.2023

 

Vom Dunkel ins Licht in der Osternacht

Evangelische Gemeinde feiert an der Promenade. Etwa 50 Gläubige versammeln sich um Osterfeuer

VON CHRIS RIECK UEBERLINGEN.REDAKTION@SUEDKURIER.DE

Überlingen – Es ist 5.30 Uhr, die Promenade und der Bodensee wirken dunkel und winterlich. Zu früh für Jogger und Hundebesitzer. Dennoch haben sich etwa 50 Menschen in der Dunkelheit versammelt und bilden einen weiten Kreis um eine Feuerschale: Die evangelische Gemeinde in Überlingen feiert das Osterfest. Kantor Thomas Rink intoniert den Gesang eines kleinen Chores, die Dunkelheit und verhaltene Melodie drücken die Stimmung des Karfreitags aus. Die Osterkerze der Gemeinde wird am Feuer entzündet, dann zieht man schweigend in die vorerst noch dunkle Auferstehungskirche.

Vor der Auferstehung, aber auch vor allem Leben, war Stille. Thomas Rink zitiert entsprechend aus Johannes 1,1-4: „Vor dem Anfang war Stille […] Am Anfang war das Wort […] Und Gott war das Wort“. Dekanin Regine Klusmann und Pfarrer Kai Tilgner entzünden zwei weitere Kerzen auf dem Altar. Nach der Lesung fordert Regine Klusmann die Gemeinde auf, sich der Auferstehung Christi durch die Worte „Christus ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“ zu vergegenwärtigen.

Jetzt wird das Osterlicht in den Kirchenraum getragen. Alle Anwesenden entzünden ihre Kerze. Nach und nach erhellt sich die dunkle Kirche. Im feierlichen Kerzenlicht manifestiert sich Freude im Halleluja, ausgedrückt im Wechselspiel der neuen Kirchenorgel und Klavier. Nach Abendmahl und Segen wartet auf die Gläubigen ein Osterfrühstück im Pfarrhaus am See.

Osterpredigt von Dekanin Klusmann

In ihrer Osterpredigt verortet Dekanin Regine Klusmann die christliche Kernbotschaft der Auferstehung Jesu in der heutigen Zeit, die geprägt ist von Zweifeln, dem Ringen um Wahrheit und deren Verschleierung durch Desinformation. Mehr als 500 Personen haben in den verschiedenen biblischen Quellen, so Klusmann, den Auferstandenen gesehen, darunter der einstige Christenverfolger Saulus, der schließlich zu Paulus wurde. Klusmann weiter: „Wenn vor Gericht so viele Menschen dasselbe bezeugen, zweifelt niemand mehr an der Wahrheit.“ Zumal verschiedene Quellen dasselbe bezeugen. Auch heutige Maßstäbe des investigativen Journalismus seien damit vordergründig erfüllt. Doch nun nährt Klusmann selber den Zweifel: Bei näherer Betrachtung zeige sich, dass alle Zeugen etwas anders gesehen haben. Völlig verschiedene Phantombilder würden bei entsprechender Befragung herauskommen.

Das Entscheidende aber, so Klusmann, was den guten Menschen Jesus von anderen Vorbildern wie Bonhoeffer oder Ghandi unterscheidet, ist die Wirkung, die Jesus seit 2000 Jahren auf die Jünger und deren Nachfolger ausübt. Die verschiedenen biblisch geschilderten Begegnungen wirkten auf die Menschen in verschiedener Weise, immer aber nachhaltig und lebensverändernd. Paulus wird als Beispiel genannt, dessen Leben nach der Begegnung ein völlig anderes ist und der gewissenermaßen selber eine Art von Auferstehung aus dem vorherigen Leben als Sünder erfährt. Auch heute noch dauern die Begegnungen mit Jesus an, spürbar in jedem positiven Neuanfang, Vergebung und dem Wachsen von Liebe. „All das lässt sich nicht mit Vernunft beweisen, diese Erfahrungen können vor keiner wissenschaftlichen Überprüfung bestehen, dennoch sind sie ‚wahr’. So wahr, wie die Liebe, wie die Hoffnung und der Glaube, die uns aufstehen lassen – trotz allem, was dagegenspricht.“

Mehr als 800 Besucher im Nikolausmünster

Erstmals seit Beginn der Pandemie war das Nikolausmünster wieder voll besetzt. Mehr als 800 Gläubige besuchten am Ostersonntag den katholischen Gottesdienst. Musikalisch wurde er geprägt durch die Nelsonmesse, die Joseph Haydn 1798 mit dem Vermerk komponierte, dass man sich „in Zeiten der Bedrängnis, der Not“ befinde. Entsprechend hat er sie in Moll geschrieben, dennoch klang das Werk im Nikolausmünster wie ein Sieg des Lebens über den Tod. Die Besucher spendeten viel Applaus für Kirchenmusikdirektorin Melanie Jäger-Waldau als Gesamtleiterin, die Aufführenden von Münster-Chor, -Kantorei und -Orchester, die Solisten Isabell Marquardt (Sopran), Nicole Fazler (Alt), Walter Kehl (Tenor) und Benjamin Widmer (Bass), sowie für Matthias Auer an der Orgel. Pfarrer Bernd Walter vergleicht in seiner Predigt Jesus Christus mit Orpheus aus der griechischen Mythologie. Jesus singe ein Lied der Hoffnung, mit dem er in die Unterwelt der Menschen vordringe, wo er Mitmenschlichkeit zum Leben erwecke.