Pforzheimer Kurier, 11.04.2023

 

Christen feiern mit dem Waschen der Augen

Stefan Friedrich

Die ökumenische Osterandacht auf dem Wallberg ist in Pforzheim eine feste Tradition

Am frühen Sonntagmorgen haben Christinnen und Christen aus den verschiedenen Pforzheimer Gemeinden und der Region auf dem Wallberg den Ostermorgen gefeiert. Musikalisch begleitet wurden sie von einem ökumenischen Bläserkreis. Mit Blick auf die aufgehende Sonne haben sie gemeinsam mit Dekanin Christiane Quincke (Evangelische Kirche), Pastor Hans Martin Renno (Evangelisch-methodistische Kirche) und Dekanatsreferent Tobias Gfell (Katholische Kirche) die Auferstehung Jesu Christi begangen. Entsprechend groß war daher auch die Resonanz, selbst am frühen Morgen.

Begonnen hatte die Osterfeier nämlich bereits gegen 6.45 Uhr. In der Dämmerung zog es viele Menschen zu früher Stunde auf den Wallberg hinauf. Für gehbehinderte oder gehschwache Menschen hatte die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden (ACG) in Pforzheim einen Fahrdienst eingerichtet.

Bei dieser Feier wurde auch an die Tradition des Augenwaschens angeknüpft, ein Ritual, das sich in den Jahren vor Corona bereits etabliert hatte. Aus Sicht der ACG handelt es sich dabei um „eine sehr erfrischende Form für diejenigen, die mit ‘neuen’ Augen auf die Auferstehung Jesu Christi blicken wollen.“ Zugleich greift diese Tradition auf einen vielerorts gepflegten alten Osterbrauch zurück, erklärte Dekanatsreferent Gfell.

„Wenn am Morgen des Ostersonntags zum ersten Mal die Glocken läuten, laufen Kinder und Erwachsene an den Dorfbrunnen und waschen sich die Augen mit dem kühlen klaren Brunnenwasser“, sagte er in seiner Ansprache. „Sie wollen Osteraugen bekommen. Darum waschen sie die kalten, die gierigen, die listigen und die misstrauischen Blicke fort. Sie spülen die Schleier der Angst weg.“ In diesem Sinne waren auch die Besucher dieser frühmorgendlichen Osterfeier eingeladen, sich die Augen zu waschen. Krüge gefüllt mit Wasser standen bereit. Aus Sicht von Gfell hatte dieses kalte Wasser eine in dem Kontext weitere wichtige Bedeutung, auf die er gesondert hinwies: Es schwemme „den Dreck eines langen Jahres“ heraus, sagte er. Zugleich helfe das Waschen der Augen, besser zu sehen, „was durch die Auferstehung anders geworden ist in ihrem Leben, im Leben aller Menschen.“

Traditionell ist das gemeinsame Erleben und Feiern des Sonnenaufgangs zu Ostern für viele Christen ein wichtiger Moment in diesen Tagen. Beim Gebet in alle vier Himmelsrichtungen wurde das von Gfell gewürdigt. Zunächst richtete er den Blick nach Osten richtete, wo derzeit der Krieg in der Ukraine wütet. „Das vergossene Blut schreit zum Himmel“, bemerkte er in dem Kontext, zog zugleich aber auch eine Verknüpfung, die Hoffnung machen wollte: „Doch steigt auch das Licht auf im Osten, der Beginn des neuen Tages, der Beginn des Verstehens und der Erkenntnis, wie die Dinge wirklich sind.“ Dem Sonnenlauf gen Süden folgend, wo die Sonne ihren höchsten Stand erreiche und mit Wärme und Wachstum neue Kraft schenke, und im Norden endend erinnerte Gfell schließlich an „kalte raue Winde, die verändern, die die Blätter fallen lassen, die Raum geben zur Regeneration, für das Ruhen, für das Sammeln neuer Kraft“.

Für die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden ist der Wallberg der ideale Ort für die alljährliche morgendliche Osterfeier. „Auf den Trümmern, die an Krieg und Tod erinnern, feiern Christen aus vielen verschiedenen Pforzheimer Gemeinden miteinander den Sieg des Lebens.“ Auch deshalb ist der Ostermorgen in den vergangenen Jahren zum festen Bestandteil des christlichen Lebens in der Stadt geworden. Bedingt durch die Corona-Pandemie war die Tradition nur 2020 und 2021 unterbrochen, wurde im letzten Jahr aber wieder aufgenommen und diesen Sonntag nun fortgeführt.