Von Christen als Soldaten
Gruppe Frauen-Zeit bietet Abend zur Militärseelsorge. Hans Wirkner und Anita Franke geben AntwortenVON HARTMUT FERENSCHILD UEBERLINGEN.REDAKTION@SUEDKURIER.DE
Salem – Kirche, Glaube und Militär – wie passt das zusammen? Wie vertragen sich Soldat- und Christsein? So lauteten die Leitfragen, zu deren Klärung die Gruppe Frauen-Zeit unter Regie von Ursula Hefler ins evangelische Gemeindehaus Stefansfeld eingeladen hatte. Rund 30 Menschen füllten den Saal, unter ihnen auch einige Männer, und sie erlebten einen höchst informativen Abend, bei dem auch nach zweieinhalb Stunden niemandem langweilig wurde.
Verantwortlich dafür waren die beiden Referenten, denn sie wussten sehr genau, wovon sie sprachen: zum einen Hans Wirkner, den meisten noch aus seiner Zeit im örtlichen Pfarrdienst bekannt, zum anderen die Soldatin Anita Franke. Wirkner, seit vier Jahren evangelischer Militärpfarrer im Kirchenbezirk Überlingen-Stockach mit Standorten in Stetten a.k.M., Pfullendorf und Sigmaringen, maß besonderes Gewicht dem Umstand bei, dass er selber kein Soldat sei, sondern nach wie vor badischer Pfarrer, vom Staat besoldet, aber außerhalb der militärischen Befehlskette verankert. Zwar bekenne er sich zur Notwendigkeit einer Verteidigungsarmee, lasse aber auch andere Überzeugungen gelten und betrachte sich nicht als „Agent“ der Bundeswehr und ihrer Aufgaben: „Wir haben nicht die Aufgabe, die Soldaten ‚fit for fighting‘ zu machen.“ Das gebe ihm die Freiheit, die Anliegen der Soldaten – ganz unabhängig von ihrer Konfession – als unvoreingenommener und diskreter Seelsorger mit sehr viel Zeiteinsatz wahrzunehmen.
Dabei begegne er überwiegend ganz alltäglichen Sorgen und Fragen: familiäre und finanzielle Schwierigkeiten, Süchte, Probleme im Umgang mit Kameraden oder Vorgesetzten. Natürlich sei auch der Tod ein Thema, zumal in einer Armee, in der das Sterben – das Wort „Fallen“ hält er für einen Euphemismus – immer mitgedacht werden müsse. Mit dem Mythos vom „Soldatenopfer“ kann Wirkner nichts anfangen. Friedensethische Zweifel würden eher selten an ihn herangetragen. Auch die Kasualien stehen auf dem Dienstplan: Gottesdienste, Trauungen, Taufen, Beerdigungen. Insgesamt werden seine Angebote häufig und gern angenommen.
Das bestätigte Stabsfeldwebel Anita Franke: „Es ist sehr gut, dass es Leute wie Hans bei der Truppe gibt.“ Die 45-jährige Berufssoldatin ist ausgebildete Krankenschwester und im Sanitätsdienst eingesetzt. Auf fünf Auslandsmissionen im Kosovo und in Afghanistan blicke sie zurück. Ihr stärkster Eindruck von dort: „Ich habe da neu schätzen gelernt, was für uns hier völlig selbstverständlich ist, etwa eine funktionierende Wasser- und Stromversorgung.“ Bei der Schilderung ihres hiesigen Berufsalltags nutzt sie hingegen häufig das Wort „normal“: Mit Mann und drei Kindern führe sie zu Hause ein ganz normales Familienleben, es gebe normale Dienstzeiten mit Feierabend, Wochenende und Urlaub. Normal sei auch ihre Rolle als Frau in einem früher strikt maskulin geprägten Umfeld. Dass es seit knapp 50 Jahren – inzwischen auch kämpfende – Soldatinnen in der Truppe gibt, sei mittlerweile keiner besonderen Aufmerksamkeit mehr wert. Auch stumpfsinniger Drill und Kommissgeist, das „Schleifen“ der Rekruten und ruppiger Kasernenhofton gehörten nicht mehr zum bestimmenden Habitus einer Berufsarmee.
Erwartbar spielte im Gespräch mit den Besuchern im Saal auch der russische Krieg gegen die Ukraine eine Rolle. Darauf befragt, berichtete Stabsfeldwebel Anita Franke, dass man zu Beginn durchaus besorgt, manchmal sogar alarmiert gewesen sei, wie außerhalb des Militärs ja auch. Inzwischen habe sich die emotionale Lage aber entspannt. Allerdings seien Ängste größer, wenn man Kinder habe.
Zur Frage nach der Berechtigung von Waffenlieferungen bot ein von Bischof Bedford-Strohm per Videokonserve eingespieltes Statement Orientierung: Zwar gelte das Gebot „Du sollst nicht töten“, aber „auch das Unterlassen von Hilfeleistung kann eine Niederlage für die Humanität bedeuten.“
„Wir haben nicht die Aufgabe, die Soldaten ‚fit for fighting‘ zu machen.“
Hans Wirkner, Militärpfarrer
Das Angebot
Die Militärseelsorge ist über das Recht freier Religionsausübung nach Artikel 4(2) grundgesetzlich verankert und im Soldatengesetz (Paragraf 36) festgeschrieben. Das Verhältnis zur evangelischen und katholischen Kirche regeln ein Militärseelsorgevertrag beziehungsweise das Reichskonkordat von 1933. Im Jahr 2020 wurde für jüdische Soldaten die Einstellung von Militärrabbinern beschlossen. Auch für Muslime soll ein Angebot geschaffen werden. Derzeit gibt es an rund 100 Bundeswehrstandorten rund 200 Stellen für Militärseelsorger. Sie sind ausgebildete Theologen, von ihren Kirchen als Beamte auf Zeit abgeordnet, also keine Soldaten, ihre Besoldung kommt aber aus dem Verteidigungshaushalt des Bundes. An ihrer Spitze stehen Militärbischöfe. Nur noch knapp 50 Prozent der Soldaten gehören einer Kirche an.
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