Wenn der Pfarrer in der Kneipe predigt
Erster Gottesdienst im Wirtshaus „Zum weißen Lamm“ – Bei „Word meets Music“ ging es um Alltagsspiritualität
Von Nicoline Pilz
Hirschberg-Großsachsen. „Rausgehen, dahin, wo die Menschen sind.“ Dieses Ziel wird in der Evangelischen Landeskirche im Kontext ihres Zukunftsprozesses immer wieder formuliert. Großsachsens evangelischer Pfarrer Friedel Goetz hat die Theorie nun in die Praxis umgesetzt, mit einem Kneipengottesdienst im Großsachsener Wirtshaus „Zum weißen Lamm“, das am Sonntagabend fast aus allen Nähten platzte.
„Ich wollte das schon lange machen“, sagte am Ende dieser Premiere Goetz im Gespräch mit der RNZ. Aber im Alltag eines Pfarrers bleibt oft wenig Zeit, um Neues auszuprobieren. Thematisch drehte sich der Gottesdienst tatsächlich auch um die „Alltagsspiritualität“ und zunächst darum, was sie jedem Einzelnen bedeutet.
Wer ein Smartphone dabei hatte, der konnte auf dem ausgelegten Liedblatt einen QR-Code scannen und ein Stichwort eintippen. „Natur“ wurde oft genannt, ebenso „Sport“, „Musik“ und der „Wald“. Auch „auf Gott vertrauen“ führte jemand an. „Es ist ein Riesenfeld mit unterschiedlichen Prägungen, was einem guttut“, sagte Goetz.
Für diesen besonderen Gottesdienst hatte er sich auch einen besonderen Musiker an die Seite geholt: Matz Scheid, nach eigenen Worten „eigentlich kein Kirchgänger“, aber angetan von Friedel Goetz „guten Ideen“. Für Scheids musikalische Begleitung und Übersetzung – „die Musik soll unterstreichen, was ich zu sagen versuche“ – dankte Goetz herzlich – und schloss darin auch Wirt Gerd Krämer, Mitinitiator Gerd Wagenbach und Thomas Thünker ein. Thünker sang ein altes schottisches Volkslied, für das Manfred Maser, unter anderem bekannt als genialer Texter im Odenwälder Shanty Chor, neue Strophen verfasst hatte. „Arbeit ist des Lebens Los, wohlan, es sei getan. Doch wer nur schafft, der bleibt doch bloß der Arbeit Untertan“, heißt es dort.
Letztlich war das auch die Quintessenz der Ansprache von Goetz: „Jeder Mensch soll essen, trinken und glücklich sein als Ausgleich für seine ganze Arbeit. Denn auch dies ist eine Gabe Gottes“ (Kohelet Kapitel 3, Vers 12). Der Pfarrer sprach über die „Mystik“, die über die Liebe eine Beziehung zur Welt finden wolle, die die Kraft habe „uns zu zeigen, wie frei die Welt ist“, obwohl man das im Alltag oft ganz anders empfinde. Doch unter der Oberfläche von Arbeit und Sorgen gebe es anderes. Man müsse hinschauen, was man jeden Tag geschenkt bekomme, „den Weg der Schönheit der Welt gehen“, wie Goetz formulierte. Dafür wünschte er Mut.
John Lennon hat es in seinem Lied deutlich formuliert: „All you need is love“ – alles, was man braucht, ist Liebe. Mit diesem Titel startete Matz Scheid das musikalische Beiprogramm, wobei Mitsingen absolut erwünscht war. Und die rund 60 Besucher im „Lamm“ ließen sich da auch nicht lange bitten. Das ursprünglich von Pete Seeger komponierte „Turn! Turn! Turn!“ mit seinem Text aus dem Alten Testament (Kohelet oder auch Prediger Salomon), dass alles seine Zeit hat, widmete Matz Scheid den leidgeprüften Menschen in der Türkei und in Syrien. Mit dem kirchlichen Lied „Spar Deinen Wein nicht auf für morgen, sind Freunde da, so schenke ein“, schloss der Gottesdienst „Word meets Music“.
Nach dem Friedensgruß an die Sitznachbarn feierte man bei einem Vesper „Agape“ – ein gemeinsames Mahl nach einem Gottesdienst. „Vielen Dank“, schallte es Pfarrer Goetz entgegen. Diese Premiere kam bei den Teilnehmern richtig gut an, eine Wiederholung ist nicht ausgeschlossen.