BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN Mittelbaden, 26.01.2023

 

Sie fordern neue Weichen für die Wohlfahrtspflege

Martina Holbein

DRK, die Caritas und Co machen auf Dauerbelastung aufmerksam und richten ihren Appell an die Politik

Rastatt. Sie ziehen alle an einem Strang, die Verbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege im Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden, denn sie haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Dem Fachkräftemangel und zu hoher Arbeitsbelastung und den Auswirkungen von Inflation und Energiekrise. „Es sind zwei Krisen, die sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren überlappt haben“, fasste Markus Stenger, Geschäftsführer des Caritasverbandes Rastatt, die Situation bei einem Pressegespräch am Mittwoch zusammen.

„Die Corona-Pandemie, und kaum war diese am Abflauen, der Krieg in der Ukraine“: Beides habe massive Auswirkungen auf die Arbeit der Liga, zu der das DRK, die Caritas, die Parität und die Diakonie gehören, und damit auf ihre Klienten. Alles Menschen in Notlagen, die Hilfe benötigten, die immer teurer werde. „Die Wartezeit bei unserer Schuldnerberatung beträgt mittlerweile sechs Monate“, schilderte Sven Reutner vom diakonischen Werk Baden-Baden-Rastatt die Situation. „Und das sind Menschen, die es bislang mit drei Jobs geschafft haben, ohne staatliche Hilfe über die Runden zu kommen. Aber unter den derartigen Bedingungen geht es nicht mehr.“

Die Teuerungsrate spielt auch für Träger von Seniorenheimen, Pflegeeinrichtungen, Kindertagesstätten et cetera eine immer größere Rolle. Wenn die Kosten für gestiegene Energiepreise umgelegt werden, dann steigt der Eigenanteil, den viele dann nicht mehr bezahlen können. Dasselbe gilt für das Angebot „Essen auf Rädern“: „Wenn wir regionales und ökologisch gutes Essen anbieten wollen, dann müssen die Preise deutlich erhöht werden“, so Stefan Leiber-Pfeffinger, Kreisgeschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Rastatt.

Andrea Hesch, Parität Baden-Baden, sieht die Arbeit der Liga der freien Wohlfahrtspflege an einem Scheideweg: „Behalten wir die Qualität bei, was ohne staatliche Hilfen kaum mehr möglich ist, oder senken wir die Standards, versorgen weniger Menschen?“ Für Felix Brenneisen, DRK-Geschäftsführer des Kreisverbandes Achern-Bühl-Baden-Baden, muss das gesamte Gesundheits- und soziale System mit Blick auf Inflation und Fachkräftemangel in den Fokus genommen werden. „Wir bilden aus, müssen aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Menschen im Beruf bleiben können, dass sie nicht vorzeitig ausgebrannt sind, und dass Quereinsteiger ihren Wunsch nach sinnstiftender Arbeit verwirklichen können, ohne ständig am Limit zu sein.“

Er nannte die Dauerbelastung durch Bagatellfälle beim Rettungsdienst, die eigentlich zum Bereich der hausärztlichen Versorgung gehören, als eine negative Rahmenbedingung. Sorgen bereiten dem DRK auch die zerbrochenen Lieferketten: „Wenn wir jetzt ein Ersatzfahrzeug für einen Rettungswagen bestellen, dauert es 18 bis 24 Monate, bis es geliefert wird.“ Derzeit, so Markus Senger, wird der Bau oder die energetische Sanierung von Gebäuden für Pflegeeinrichtungen genauestens überlegt: Kann sich ein Träger die hohen Baukosten oder eine Sanierung leisten, findet er Handwerker und, nach der Fertigstellung, gibt es Menschen, die sich die Einrichtung dann überhaupt leisten können? „Der Bedarf ist in der alternden Gesellschaft da, aber die Rahmenbedingungen sind unsicher.“

Es gibt keine schnellen Lösungen, da waren sich die Vertreter der Wohlfahrtspflege einig. Sie appellieren an Kommunen und Landkreise, an Landes- und Bundespolitiker, diese Themen aufzugreifen und grundsätzlich die Weichen für die Arbeit der Wohlfahrtspflege neu zu stellen. Die Alternative wäre, dass sich Kommunen und Landkreise um die Klienten der Wohlfahrtspflege, also Hilfsbedürftige in einer akuten Notlage oder ständig auf Hilfe angewiesen, verstärkt kümmern müssen.

Finanziell flicken sie derzeit die Löcher immer noch irgendwie, da sie ja auch in Vorleistung gehen müssen und die Bürokratiemühlen sehr langsam mahlen. Da kommen Spenden wie, dass Menschen ihre Energiepauschale überweisen, gerade recht. Aber auf Dauer müsse der Staat strukturell und finanziell eingreifen, was sehr schnell gehen könnte, wenn er die Brisanz der Thematik ernst nähme, so die einhellige Meinung der Gesprächsteilnehmer.