Südkurier Markdorf, Friedrichshafen, 25.01.2023

 

Reise in ein Paradies im Bürgerkrieg

Pfarrer besuchte Partnerbezirk in Kamerun Referat von Tibor Nagy im Haus im Weinberg

VON JÖRG BÜSCHE MARKDORF.REDAKTION@SUEDKURIER.DE

Markdorf – „So ein schönes Land“, schwärmt Tibor Nagy, „unfassbar viele Früchte. Ananas, Papayas, Bananen.“ Der evangelische Pfarrer schildert ein kleines Paradies. Vor wenigen Wochen war er in Kamerun. Und kaum minder paradiesisch-glücklich als die Vegetation dort müssen dem Geistlichen die Eindrücke vorgekommen sei, die er in kamerunischen Kirchen gesammelt hat. „Da ist alles unglaublich kraftvoll: Die Menschen singen, sie tanzen im Gottesdienst.“ Und statt nur ein Chor treten vier oder fünf auf. Überhaupt geraten die Gottesdienste zu regelrechten Massenveranstaltungen. Die Gemeinden feiern ihren Glauben und sie feiern ihre Gemeinschaft.

Dabei herrschen Zustände, die alles andere als feierlich sind. Denn in Kamerun tobt ein Bürgerkrieg, der weite Teile des afrikanischen Landes in eine tiefe Krise stürzt. Mit schlimmen Folgen für die Wirtschaft. Trotz günstiger klimatischer Voraussetzungen und trotz des Rohstoffreichtums – etwa an Ölvorräten – müssen viele Kameruner darben. Insbesondere jene, die vor den Kampfhandlungen in friedlichere Gegenden des Landes geflüchtet sind. Solchen Binnenflüchtlingen ist Tibor Nagy in einer Art Anlaufstelle begegnet, die eine ehemalige Entwicklungshelferin aus Deutschland gemeinsam mit ihrem kamerunischen Mann gegründet hat.

Menschen hausen in Wellblechhütten

„Die Einrichtung besitzt einen gewissen MGH-Charakter“, berichtet Pfarrer Nagy. Sie arbeite generationsübergreifend, kümmere sich darum, dass Jugendliche ein Handwerk erlernen können. Untergebracht sind die Flüchtlinge in Wellblechhütten. Sie leben zwar in kläglichsten Verhältnissen. Aber sie leben in Sicherheit. Viele sind schwer traumatisiert. Die Entkommenen berichten von schlimmsten Gewaltverbrechen oder von der Flucht durch den Busch. „Was wir gehört haben, war kaum zu ertragen“, erklärt Nagy. Das Militär schikaniert die Zivilbevölkerung. Und die Rebellen gehen kaum weniger grausam vor. Kidnapping und Lösegelderpressungen gehören im englischsprachigen Landesteil – dort wo der Partnerbezirk liegt – gewissermaßen zum Alltag. Damit finanzieren die Warlords ihre Separatisten-Verbände. „Ein geregeltes Leben ist da kaum möglich“, erklärt Nagy. Und die Jugend kann nicht mehr zur Schule gehen.

Nagy ist der Kamerun-Beauftragte des Dekanats. In einer Gruppe von 20 Teilnehmern aus Baden-Württemberg – die meisten Pfarrer, aber auch etliche Ehrenamtliche – war er Ende 2022 nach Afrika gereist, um die Partner der „Presbyterian Church of Cameroon“ (PCC) im kamerunischen Kirchenbezirk Bakossi zu besuchen.

In die Krisengebiete selbst konnte die Delegation aus Deutschland allerdings nicht reisen. Zum Kontakt mit Vertretern aus den Partnergemeinden kam es trotzdem. Das aber im nicht umkämpften französischsprachigen Landesteil, wohin die Partner von Presbyterian Church of Cameroon gekommen waren. „Es gab viele Möglichkeiten zum intensiven Austausch“, berichtet Pfarrer Nagy. Erklärtes Ziel des Partnerschaftsbesuchs war ja, das zuletzt ins Stocken geratene Gespräch wieder zu intensivieren. Es ging darum, zu erfahren, wie sich der Konflikt entwickelt. Es galt auch, auszuloten, auf welche Weise die deutschen Partner die Presbyterian Church of Cameroon bei deren Arbeit im Sozialbereich unterstützen kann. Dort engagiere sich die PCC überaus intensiv, erklärt Nagy.

Die PCC bietet Traumatherapien an. Sie unterhält Grundschulen. Im Distrikt Bakossi soll nun auch eine Sekundarschule aufgebaut werden. Denn die Lehrer der staatlichen Sekundarschulen seien alle fort. Die spirituelle Seite komme keinesfalls zu kurz, versichert Pfarrer Nagy. Vor allem hierzu gebe es für uns sehr viel zu lernen, betont er. Einen gewissen Umdenkungsprozess haben aber auch die deutschen Partner in Kamerun anstoßen wollen. „Wir haben ausdrücklich darum gebeten, dass bei unseren Gesprächspartnern immer eine Frau dabei ist.“ Das solle die bestehenden patriarchalen Strukturen aufweichen. Geschlechtergerechtigkeit, die gezielte Förderung von Frauen sei darüber hinaus auch insofern sinnvoll, als sich geförderte Frauen oftmals als Motoren der Entwicklung im globalen Süden erweisen.

„Kamerun – zwischen Bananen und Hass wächst Gottvertrauen“, heißt der Vortrag, den Pfarrer Tibor Nagy am heutigen Mittwochabend für das Christliche Bildungswerk Markdorf im evangelischen Gemeindezentrum Haus im Weinberg hält. Er berichtet von seiner Kamerunreise. Beginn um 19 Uhr.

„Was wir gehört haben, war kaum zu ertragen. Ein geregeltes Leben ist da kaum möglich.“

Pfarrer Tibor Nagy, Kamerun-Beauftragter des Dekanats

Die Partnerschaft

Der Kirchenbezirk Überlingen-Stockach hat vor mehr als 25 Jahren eine Partnerschaft mit dem Kameruner Kirchenbezirk Bakossi geknüpft. Dies mit der Presbyterian Church of Cameroon (PCC), die im Partnerbezirk 15 Kirchengemeinden trägt. Ziel der Partnerschaft ist der religiöse Austausch, aber auch konkrete Hilfe – etwa in den beiden Schulen und dem Hospital der PCC. Partner aus Bakossi haben Markdorf zuletzt 2019 besucht.