Rhein-Neckar-Zeitung - Mosbacher Nachrichten, 14.01.2023

 

Und das Wort ward Holz

Der kürzlich verstorbene Bildhauer Werner Pokorny schuf für seine Geburtsstadt Mosbach die Prinzipalstücke für die Stiftskirche

Von Ursula Brinkmann

Mosbach. Mosbachs Name wurde jüngst weit über die Region hinausgetragen, denn die Große Kreisstadt fand im Zusammenhang mit dem Tod des bedeutenden Bildhauers Werner Pokorny Erwähnung, denn hier wurde er geboren. In seinem Geburtsort hat der Künstler Spuren hinterlassen, von denen viele wohl nicht wissen. In der Stiftskirche zogen 1998 von Pokorny geschaffene Prinzipalstücke ein: Altar, Taufbecken, Ambo und Kerzenständer. Ihre moderne Formensprache und ihr archaischer Ausdruck spiegeln das künstlerische Credo des am Silvestertag Verstorbenen wider: Das Behaustsein ist das zentrale Thema seines Wirkens gewesen.

Pokornys Haus im Gotteshaus (das Lesepult) steht, besser: schwebt kopfüber auf einem Fuß, der an einen gotischen Spitzbogen erinnert. Ein Riss geht durch beide Teile der Skulptur. „Auch das ist ein Symbol“, findet Gertrud Ockert – eines, das sich daraus ergeben hat, dass das damals frische Eichenholz arbeitet. Es stammt aus den Wäldern der Evangelischen Stiftung Pflege Schönau. Ockert war Mitte der 1990er-Jahre Kirchenälteste der Stiftsgemeinde und an der Entscheidungsfindung für die Auswahl des Künstlers beteiligt. „Mit Leidenschaft beteiligt!“, betont sie. In ihrem Fotoalbum, das Bilder zeigt vom Atelierbesuch einer Delegation der Stiftsgemeinde mit Pfarrer und Dekan Dr. Jürgen Kegler, ist der Ambo noch heil. „Besuch in der Werkstatt von Herrn Pokorny, 23. Juli 1998“, hat Gertrud Ockert über die Bilder geschrieben.

Drei Künstler waren gebeten worden, Entwürfe für Prinzipalstücke zu machen. Von den Arbeiten des damals in Ettlingen lebenden Pokorny waren die Mosbacher am stärksten angetan, Gertrud Ockert sogar „hell begeistert“, weil sie die theologischen Denkansätze und die Künstlerperson Pokorny überzeugten. „Es war einfach stimmig.“

Die Kerzenständer haben im Schnitt eine Kreuzesform, das Taufbecken hat die Gestalt eines Muttermundes, „versinnbildlicht die Neugeburt durch die Taufe“, führt der kleine Kirchenkunstführer der Simultankirche aus. Dass Pokorny gebürtiger Mosbacher war, hätten die Gemeindevertreterinnen und -vertreter damals gar nicht gewusst, schmunzelt Ockert.

Pokornys wiederkehrendes Motiv, das Haus, ist auch am Altar verwirklicht; seine Tischplatte thront auf dem Dachfirst. Der heutige Dekan Folkhard Krall gibt Gedanken wieder, die er als Pfarrer beim Dienst vor und an den Prinzipalstücken selbst aufgenommen hat: „Die rauen Oberflächen werden von Menschen als Zusage verstanden, (s)einen Platz zu finden an der Tafel, auch mit den weniger glatten Geschichten.“ Er selbst finde es inspirierend, sich damit in Verbindung zu bringen und berühren zu lassen. Das Thema Haus am Ambo bringt Krall in Zusammenhang mit einem Wort des Johannesevangeliums: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Am ersten Advent 1998 nahmen die Prinzipalstücke Wohnung im Gotteshaus der Stiftsgemeinde; zugleich wurde die erste Taufe vollzogen. Werner Pokorny war dabei und erläuterte der Gemeinde seine künstlerischen Überlegungen zu den von ihm geschaffenen Skulpturen. Später habe es Überlegungen gegeben, erinnert sich Gertrud Ockert, bei Pokorny auch noch ein Kruzifix in Auftrag zu geben. „Doch das war dann finanziell nicht mehr leistbar.“ Umso glücklicher ist sie über eine Gabe des Bildhauers, den sie, die in den 90er-Jahren einen Blumenschmuckkreis gegründet hatte, fragte, was für eine Vase sich der Künstler denn vorstellen könne. „Er fertigte eine passende und schenkte sie der Gemeinde.“

Ein anderer ehrenamtlich wirkender Kreis, der die Öffnung der Stiftskirche in den Sommermonaten organisiert, fragte wiederum später bei Pokorny an, eine Kerzenschale zu gestalten. „Für die Besucher, die in der Stiftskirche ein Licht anzünden möchten“, erzählen Ingelore und Manfred Jann. Der Pfarrer aus Neckarbischofsheim und seine Frau waren 2008 nach Mosbach gezogen, von Pokornys Prinzipalstücken angetan und regten ein solches Kerzentablett an. „Aber auch das scheiterte am Preis.“ Doch allen, denen bei ihrem Besuch in der Stiftskirche die Prinzipalstücke ins Auge fallen, wollen die Janns als auch Gertrud Ockert und die anderen Kirchenöffnungsbetreuer davon erzählen, was es mit diesen Behausungen auf sich hat. In ihnen lebt Werner Pokorny weiter.