Der Ritus der Einmaligkeit
Holger SiebnichSeltene Kirchenbesuche sind nicht verwerflich
Weihnachten lebt von der Begegnung. In Rastatt findet das auf verschiedenen Ebenen Ausdruck. Am Vormittag des 24. Dezember im geselligen Party-Format rund um die Herrenstraße, abends und an den Feiertagen in andächtiger Atmosphäre in den Kirchen. So unterschiedlich beide Rituale sind, haben sie trotzdem etwas gemeinsam: ihre Einmaligkeit. Beim Frühschoppen treffen viele alte Bekannte, die sie nur einmal im Jahr sehen. Und der Gottesdienst zu Weihnachten ist für viele der einzige Tag im Kalender, an dem sie in der Kirche auftauchen. Gerade das macht es zu etwas Besonderem. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Kirchenverantwortlichen diese Besonderheit mit einem lachenden und einem weinenden Augen sehen. Sie freuen sich, dass die Gotteshäuser voll sind und wissen doch, dass sie es nächste Woche nicht mehr sein werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Für die meisten, die nur zu den ganz besonderen Anlässen dort auftauchen, zählen weniger Glaube und christliche Erzählung, sondern Atmosphäre und liebgewonnene Feiertagsabläufe. Das ist nicht verwerflich. Das ganze Weihnachtsfest ist gebaut auf dem sentimentalen Ritus der Einmaligkeit. Baum, Geschenke, Fondue, Michel aus Lönneberga und eine zu später Stunde angeschickerte Verwandtschaft: All das gibt es nur einmal im Jahr und ist den Menschen deshalb heilig. Genauso wie der Herrenstraßen-Frühschoppen am Vormittag und der Kirchgang abends oder an einem der Feiertage.