Südkurier Markdorf, Friedrichshafen, 27.12.2022

 

Ausflug in die Schule der Hoffnung

Regine Klusmann thematisiert Weltgeschehen Dekanin entdeckt Grün als Weihnachtsfarbe Pfarrer Walter konzentriert sich auf Kind in Krippe

VON HANSPETER WALTER UND ANTONIA KITT

Überlingen – Auf zwei grundsätzlich unterschiedlichen Ansätzen bauten die evangelische Dekanin Regina Klusmann und der katholische Stadtpfarrer Bernd Walter ihre weihnachtlichen Predigten auf. Während Klusmann sich in schweren Zeiten, die täglich schlimme Nachrichten bringen, mit den Themen Hoffnung und Verzeihen befasste, verzichtete Walter gänzlich auf Bezüge zum aktuellen Weltgeschehen und konzentrierte sich ganz auf das Geheimnis des Kindes in der Krippe.

Vesper in Franziskanerkirche

Welche Farbe hat eigentlich Weihnachten? Mit dieser Leitfrage hatte Dekanin Regine Klusmann die „Festgemeinde und Stallbesucher“ zur Christvesper in der Franziskanerkirche willkommen geheißen. Weiße Weihnachten, die an „reinliche Windeln“ erinnern, hätte sich mancher Besucher vielleicht auch draußen vor der Tür gewünscht. Dort war es allenfalls grün unter einem grauen regnerischen Himmel.

Etwas Grün wollte die Geistliche an diesem Abend auch im übertragenen Sinn mit auf den Weg geben. Nämlich das Grün der Hoffnung, die man nicht verlieren dürfe – „gerade in diesen Zeiten nicht“, wie sie sagte. Das Kind im Weihnachtsstall, der Stern am Himmel und das „Fürchtet Euch nicht!“ der Engel nannte sie „Zeichen für uns, dass das Leben siegen wird. Dass die Hoffnung siegt!“

Blick nach Kamerun

„Verliert die Hoffnung nicht!“ appellierte Dekanin Klusmann und wusste nur zu gut, dass dies „leichter gesagt als getan“ ist. Angesichts eines Kopfes voller Nachrichten von Katastrophen und Kriegen, von kleineren und größeren Zankereien und Zwistigkeiten. Vor diesem Hintergrund nahm sie die Zuhörer mit auf einen kleinen Ausflug in die Schule der Hoffnung. Die hatte sie selbst vor kurzem im afrikanischen Kamerun erleben können. Denn auch in diesem „wunderbar grünen Land“ mit Bananen, Palmen, Mangos und Ananas, in dem niemand hungern müsse, gebe es schlechte Nachrichten. Militär, Rebellen und kriminelle Gruppen bekämpften sich teilweise rücksichtslos und forderten viele Opfer.

Bewundernswert nannte Klusmann die Haltung einer betroffenen christlichen Lehrerin, der sie dort begegnete. „We have to forgive! And we do not give up hope,“ habe sie gesagt – „wir müssen vergeben und wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben“. Dekanin Klusmann weiter: „Die Schule wieder aufbauen – obwohl sie morgen wieder abgebrannt werden könnte.“ Niemals aufgeben, immer wieder anfangen, Neues probieren sei die Devise in Kamerun gewesen.

„Verliert die Hoffnung nicht! Auch hier nicht angesichts von Ukrainekrieg, Energiekrise und Klimawandel“, sagte Klusmann, denn: „Das macht uns Christen aus – auch gegen alle Vernunft und gegen allen Augenschein!“

Mit dem festlichen Choral „Noel“ hatten Kantorin Stefanie Jürgens an der Orgel und Rosa Benz an der Trompete den Gottesdienst feierlich eingeleitet – mit „Oh, du fröhliche“ ging er zu Ende.

Bereits am Nachmittag hatten sich Familien mit kleinen Kindern bei einem Stationengottesdienst auf den Weg nach Bethlehem in den Blatterngraben gemacht. Als Engel mit Sternen und Hirten mit Schafen versammelten sie sich um die Krippe und konnten eine Kerze entzünden, die sie mit nach Hause nahmen.

Weihnachtszügle unterwegs

An drei Standorten suchte das Weihnachtszügle mit seiner Botschaft die Menschen draußen vor Ort auf. Am Schättlisberg, in Nußdorf und an der Burgbergsschule machte das Gefährt mit Pfarrer Kai Tilgner und Pastor Rouven Bürkle Station und stimmten die Besucher auf den Heiligen Abend ein. In der Auferstehungskirche klang er bei einer musikalischen Christnachtfeier mit dem Chorus Laetitia und dem Heinrich-Schütz-Ensemble unter Leitung von Thomas Rink aus.

Pfarrer Walter: „In diesem Stall ist für uns geballte Liebe“

„Liebe, die keine Ferne aushält, das ist das Geheimnis dieses Kindes, das in einem stinkenden, kalten, dreckigen Stall liegt.“ Um diese Kernbotschaft herum entfaltete Stadtpfarrer Bernd Walter die Gedanken in seiner Predigt an Heiligabend in der Christmette im Überlinger Münster.

Eingestimmt auf das biblische Geschehen im Stall von Bethlehem hatte vor Beginn des Gottesdienstes das Frauenensemble des Münsterchors mit dreistimmigen Vertonungen traditioneller Weihnachtslieder unter der Leitung von Kirchenmusikdirektorin Melanie Jäger-Waldau. Wolfram Asshoff (Querflöte) und Reiner Rammelt (Fagott) musizierten dazu barocke Hirtenmusik. Andrea Jäger-Waldau (Sopran) bezauberte solistisch mit Marias Wiegenlied von Max Reger.

In diese meditative Grundstimmung hinein setzte Bernd Walter in der sich anschließenden Christmette eine Weihnachtspredigt, die auf Bezüge zum aktuellen Weltgeschehen mit Ukraine-Krieg, Energiekrise, Menschen auf der Flucht, Natur- und Hungerkatastrophen gänzlich verzichtete. Stattdessen lenkte Walter die Aufmerksamkeit der rund 300 Gottesdienstbesucher im Münster – weitere 250 Zuschauer verfolgten den Livestream – direkt auf das Christkind im Stall. Es „brülle“ die Weihnachtbotschaft in die Welt hinaus, nämlich, dass der „unendlich erhabene Gott, unser Vater im Himmel“, uns im Stall ganz anders nah gekommen sei, von ganz oben nach ganz unten. „In diesem Stall ist für uns geballte Liebe“, formulierte Walter die universelle Botschaft. Der Stall sei das größte Geheimnis und Weihnachten das größte Fest, dass man feiern könne. In der Nähe dieses Geheimnisses könne man nicht kalt und neutral bleiben, so Walter.

Der katholische Münsterpfarrer ermutigte die anwesenden Gläubigen, sich dieser Nähe zu öffnen und auch einmal ein kleines erstes Gebet zu wagen, zum Beispiel: „Mein Leben ist von Gottes Liebe und Nähe umfangen und getragen und mit Liebe und Hoffnung erfüllt, Amen.“

Antonia Kitt