Krippenspiel greift Weltgeschichte auf
David HegerGläubige in Bruchsal und Region erleben das Weihnachtsfest als fast wieder normal
Bruchsal/Waghäusel. Pünktlich zu Heiligabend zeigt in Bruchsal das Thermometer beinahe frühlingshafte zwölf Grad. Die Sorge vor kalten Füßen in der Weihnachtskirche zu Zeiten der Energiekrise – zumindest sie löst sich in den Sonnenstrahlen, die rechtzeitig zum Nachmittag durch die graue Wolkendecke brechen, in Wohlgefallen auf. Was bleibt, ist eine andere Frage: „Werden wir noch einmal volle Kirchen erleben?“, fragt sich Gertrud Heinen. Hinter den Gläubigen liegen zwei Jahre der Pandemie, in denen die Weihnachtsandachten mal nur mit Abstandsgebot, mal outdoor, mal digital stattfinden konnten. Heinen, regelmäßige Kirchgängerin aus Bruchsal, sagt, sie freue sich auf dieses Weihnachtsfest. Doch sie bangt auch: „Vielleicht entscheidet sich heute, in welche Richtung die Kirche in Zukunft gehen wird.“
Womöglich erlebt Heinen an Heiligabend einen Vorgeschmack dessen: Sie besucht den ökumenischen Familiengottesdienst in Bruchsal – nicht etwa in einer der Bruchsaler Kirchen, sondern in einer der Hallen am Sportzentrum. „Wo man Gott begegnet, ist doch eigentlich egal“, gibt sie sich pragmatisch.
So wie Heinen sehen es viele an diesem Heiligabend: Auf mehrere hundert Gläubige vor Ort kommen rund 600, die den Gottesdienst im Livestream von zuhause aus verfolgen. Die Technik dazu habe man während Corona angeschafft, erklärt Georg Treise von der Paul Gerhardt Gemeinde. Wenige Minuten vor Beginn des Gottesdiensts blickt er angestrengt auf die Dutzende Bildschirme, von wo aus der Gottesdienst in Echtzeit ins Netz übertragen wird. „Für mich ist es ein besonderer Tag“, sagt der 18-Jährige. „Die Botschaft der Liebe mit Technik zu verbreiten“, das erfülle ihn. Doch die persönlichen Begegnungen seien durch nichts zu ersetzen: „Ich bin in diesem Jahr wieder viel engagierter dabei.“
Im Jahr 2022 kommt auch das Krippenspiel nicht an der Weltgeschichte vorbei: Die Hirten haben mit Lieferengpässen und Inflation zu kämpfen, der Engel kommt im Stile einer Social-Media-Nervensäge ausgestattet mit Kamera zu den Menschen. Hier, in der Sporthalle, hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen, in der Kirche St. Jodokus in Wiesental scheint sie derweil beinahe stehen geblieben zu sein: Dichter Weihrauch steht im Altarraum, die Orgel dröhnt zu „in excelsis deo“ so kraftvoll wie eh und je. „Es ist so schön normal“, sagt Claudia Gauweiler. Die Kommunionshelferin hat oben auf der Empore Platz genommen, von wo aus sie das ganze Kirchenschiff im Blick hat. Die Bänke sind zur Hälfte gefüllt. „Corona war für mich eine große Umstellung. Jetzt haben wir die alte Normalität zurück“, sagt sie und klingt dabei erleichtert.
Aufatmen auch vorne: „Endlich wieder mehr als zehn Ministranten im Altarraum“, freut sich Isaii Milbich, als Oberministrant verantwortlich für die Messdiener in Wiesental. „Die Stimmung ist überwältigend“, beschreibt er. Für viele der Ministranten ist es das erste reguläre Weihnachtsfest im Dienst der Kirche – und so sitzt an diesem Heiligabend nicht jeder Handgriff auf Anhieb: „Hinter uns liegen zwei Weihnachten in abgespeckter Version. Wir müssen den Nachwuchs erst einmal einlernen“, sagt Milbich. Dass nun wieder Etliche den Weg in die Kirche genommen haben, ist für ihn vor allem eine Bestätigung seines Glaubens: „Über die Pandemie ist die Beteiligung an den Gottesdiensten immer weniger geworden. Es ist schön zu sehen, dass die Weihnachtsgottesdienste angenommen werden“, findet er. „Dass Kirche eine Zukunft hat“, fügt er nach einer Pause an.
Ein Weihnachten wie jedes andere also? Auch in St. Laurentius in Rheinhausen sieht es am ersten Weihnachtsfeiertag ganz danach aus. Die Orgel spielt „Stille Nacht“, das Läuten der Glocken ist bis ins Innere der voll besetzten Kirche zu hören. „Am Anfang war das Wort“, liest Pfarrer Marcel Brdlik aus dem Johannesevangelium. Es sind nicht immer die Worte, die zeigen: Etwas ist anders in diesem Jahr. In Wiesental streift sich zur selben Zeit Dekan Lukas Glocker zur Eucharistie eine Maske über, bevor er die Hostien ausgibt. Die Farbwahl dürfte im Jahr 2022 kaum zufällig getroffen sein: Sein Mundschutz ist knallbunt bedruckt – in den Farben des Regenbogens.
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