„Der Ausnahmezustand hält an“
Krieg, Krise, Inflation – es sind schwierige Zeiten. Warum es da eine frohe Botschaft braucht, erklären die Stadtdekane Angela Heidler und Alexander Halter.
FREIBURG Die beiden zurückliegenden Weihnachtsfeste wurden auch in den Kirchen der Stadt unter den Bedingungen der Corona-Pandemie gefeiert. In diesem Jahr gibt es wieder ein Stück Normalität. Die evangelische Stadtdekanin und ihr katholischer Kollege blicken auf die anstehenden Weihnachtsgottesdienste.
Wie lässt sich in Zeiten von Krieg und Krise eine frohe Botschaft vermitteln?
Heidler: 2022 war ein schwieriges Jahr. Die Schwierigkeiten machen mir gleichzeitig deutlich, wonach wir uns sehnen und wie zerbrechlich, zart und wenig selbstverständlich Leben und Frieden sind. Ich spüre in der Gesellschaft eine große Sehnsucht nach Trost und Zuversicht. Beides kann man sich schwer selbst zusprechen. An Weihnachten geschieht für mich genau das: Gottes Kommen in eine trostlose Welt ist Trost und Zuversicht gerade in herausfordernden Zeiten und der Fülle an negativen Meldungen. Weihnachten ist Gottes Liebesbrief an die Menschen und öffnet ein Fenster mit einer neuen Perspektive. Seine Liebe und sein „Fürchtet euch nicht!“ – hoffnungsvoll und glaubensgewiss – weiterzugeben, das ist für mich Frohe Botschaft.
Halter: Wichtig ist für mich Jahr für Jahr aufs Neue, dass Gott uns die Frohe Botschaft schenkt. Dass Gott Mensch wird, hineintritt in unsere Welt wie auch in die je eigene persönliche Lebenswelt, ist sein Geschenk an uns. So wie das schon für Generationen vor uns in vermutlich weitaus widrigeren Zeiten gegolten hat. Und mit dieser Botschaft ist unabdingbar der Friede verbunden. Neben dieser Zusage Gottes ermutigen mich unübersehbare konkrete Taten, die uns Zuversicht in diesen kritischen Monaten und Tagen schenken lassen: Das Eintreten vieler Menschen für Solidarität mit Geflüchteten, die Spendenbereitschaft Einzelner, aber auch die Kraftanstrengungen, welche Verantwortliche in den Kommunen, in der Politik, in Vereinen leisten, um diese Krisensituationen zu bewältigen und nicht davor zu resignieren. Daraus erwächst Mut und Motivation zugleich. Und in diesem Grundtenor will ich auch dieses Jahr Weihnachten feiern.
Begegnet Ihnen die Krise auch in Gesprächen mit den Menschen?
Halter: Zum einen begegnen mir sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen die ganzen Auswirkungen dieser Krisenzeit und wir erfahren, wie gut es ist, dass es diese seelsorgerlichen Gespräche gibt. Zum anderen begegnen mir die gegenwärtigen Problemlagen auch durch ganz konkrete Anfragen zur existentiellen, materiellen Lebensbewältigung. Hier bin ich immer wieder dankbar, mit dem Caritasverband Freiburg-Stadt in enger Abstimmung zur Hilfeleistung in der Lage zu sein. Zugleich macht es mir auch zu schaffen, dass nicht jede Not gelindert werden kann und zum Teil große menschliche Schicksale damit verbunden sind.
Heidler: Ja natürlich, an allen Ecken und Enden. Die Menschen scheinen mir nach den Corona-Jahren dünnhäutiger geworden und haben mehr Sorgen, ob persönlich oder wirtschaftlich. Viele arbeiten an den Grenzen ihrer Kraft. Ich habe in Gesprächen oft den Eindruck, dass der Ausnahmezustand anhält und das Leben auch im Miteinander Risse bekommen hat. Da ist es gut, als Seelsorgerin, als Kirche dasein zu können, um zuzuhören, beizustehen und damit für ein neues, verständnisvolles Miteinander einzutreten, das die Situation der anderen wahr- und ernstnimmt.
Die beiden vergangenen Weihnachten fanden unter Corona-Einschränkungen statt. Wie ist es in diesem Jahr?
Heidler: In diesem Jahr gibt es keine offiziellen Einschränkungen. Die Gemeinden entscheiden selbst, wie sie Weihnachten vor Ort gestalten. Ich wünsche mir volle Kirchen und erwarte viele Menschen in den Gottesdiensten. Nach den Jahren der Einschränkung erlebe ich sehr viel Vorfreude beim Einstudieren von Krippenspielen, Musicals, Chorauftritten und auf unbeschränktes Miteinander in „normalen“ Weihnachtsgottesdiensten.
Halter: Wie viele andere auch, hoffe ich auf „normale“ Zeiten, auch wenn diese so schnell nicht wieder kommen werden. Es lässt sich nicht vorhersagen, wie die Menschen mitfeiern werden. Die gestiegene Anzahl der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher in der Adventszeit lässt mich optimistisch auf die Weihnachtsgottesdienste schauen und ich bin mir sicher, dass diejenigen, die kommen werden, für sich einmal mehr Weihnachten bestärkend feiern und erleben werden.
Haben Sie selbst auch ein bisschen Luft, um Weihnachten zu feiern?
Halter: Nach den getroffenen Vorbereitungen ist es für mich sehr erfüllend, im Münster Unserer Lieben Frau mit der Gemeinde, mit den Verantwortlichen für die Kirchenmusik, mit denen, die den Gottesdienst mittragen, zu feiern – das ist für mich Weihnachten! Und ja, ich freue mich auch darauf, nach den zurückliegenden Wochen etwas Luft zu haben für das Nachklingen lassen der Gottesdienste, Zeit für einen Besuch bei meiner Familie am Bodensee wie auch für Gespräche und Telefonate, zu denen ich in den Wochen zuvor nicht mehr gekommen bin.
Heidler: Für Weihnachten-Feiern bleibt Luft – zum Glück! In den vielen Jahren als Pfarrfamilie hat es sich eingespielt, wie wir Weihnachten feiern. Alle von uns lieben den Trubel, bereiten vor und packen mit an. Am 23. abends schmücken wir den Weihnachtsbaum zu Klängen des Weihnachtsoratoriums und trinken dabei Punsch. Am Heiligabend treffen wir uns nach vielen Gottesdiensten als Großfamilie bei uns zu Hause und freuen uns auf die Zeit miteinander und uns bei Kerzenschein am Weihnachtsbaum zu beschenken.
Angela Heidler, Jahrgang 1971, ist seit Sommer 2021 Stadtdekanin.
Alexander Halter, Jahrgang 1964, amtiert seit September 2021 als Dompfarrer und Stadtdekan.
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