Direkte Teilnahme lässt sich nicht ersetzen
Werner BreitensteinAm Sinn eines digitalen Gottesdienst-Angebots scheiden sich in den Gemeinden weiterhin die Geister
Stutensee. Mit großer Vorfreude blicken die Kirchen auf das bevorstehende Weihnachtsfest, das erste seit zwei Jahren ohne gesetzliche Beschränkungen durch die Pandemie. Einige Gemeinden nutzen aber auch die Zeit, um über die eigene Situation nachzudenken.
Für Pfarrer Albert Striet von der katholischen Kirchengemeinde Eggenstein-Leopoldshafen ist klar, dass nicht alle Kirchgänger zurückkehren werden. So manch einer hätte in der Zeit ohne Gottesdienste gemerkt, dass ihm nichts fehle. Auch Ärger und Enttäuschungen würden dabei eine Rolle spielen: „Solange sich die Kirche nicht ändert, bleiben viele Menschen ihr fern.“
Einen generell rückläufigen Gottesdienstbesuch stellt auch Pfarrer Gregor Waskow aus Rußheim seit einiger Zeit fest: „Das liegt an unserer Altersstruktur. Viele sterben einfach weg.“ Pfarrer Philip Kampe hingegen beobachtet, „dass seit Beginn der Adventszeit die Zahl der Gottesdienstbesucher in der Kirche wieder deutlich angestiegen ist“. Er hofft, dass sich dieser Trend in seiner Linkenheimer Gemeinde fortsetzt.
An den Weihnachtstagen erwarten alle Gemeinden volle Kirchen. „Die Leute freuen sich, das war bereits im Advent zu spüren“, sagt Andrea Schweizer, evangelische Pfarrerin in Eggenstein. Sie rechnet an Heiligabend für alle drei Gottesdienstangebote mit einem regen Zulauf.
Was ist nun mit den Gläubigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen keine Kirche besuchen können – sei es wegen des kalten Klimas, aufgrund gesundheitlicher Gebrechen oder weil sich die Verunsicherungen in ihnen verfestigt haben?
An der Sinnhaftigkeit eines digitalen Angebots scheiden sich die Geister. „Die Nähe der Mitbetenden, das Licht der brennenden Kerzen, das Mitsingen besonders der Weihnachtslieder, der Chorgesang – all das ist doch sehr vielen Mitfeiernden wichtig und ist digital nicht zu ersetzen“, meint etwa Albert Striet. Auch die katholische Seelsorgeeinheit Pfinztal macht keine eigenen Angebote, verweist statt dessen auf die ZDF-Fernsehgottesdienste.
Die meisten Pfarreien der Region nutzen jedoch weiterhin die medialen Möglichkeiten, die in der Zeit ohne Präsenz-Feiern entwickelt wurden. So haben die evangelischen Kirchengemeinden Friedrichstal, Linkenheim und Rußheim Technik-Teams gebildet und das Streamen von Gottesdiensten regelrecht professionalisiert. So kann man dort die Veranstaltungen nicht nur live erleben, sondern auch nachträglich auf der jeweiligen Homepage oder auf Youtube.
In Linkenheim sei in der ganzen Zeit kein einziger Gottesdienst ausgefallen, wie Philip Kampe stolz berichtet: „Es gab immer ein frisches, selbst erstelltes Online-Angebot, das auch dauerhaft erhalten bleiben wird.“ Eine hohe Geldsumme, größtenteils aus Förderprogrammen und Zuschüssen, wurde investiert, um Übertragungen in höchster Qualität zu gewährleisten.
Ein wenig bedauert der Seelsorger allerdings, dass sich einige Menschen ohne Not in der Vergangenheit daran gewöhnt hätten, Gottesdienste vom Sofa aus zu verfolgen: „Hier sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es doch nochmal etwas anderes und mehr ist, körperlich dabei zu sein.“
Lediglich an Heiligabend wird zur Entlastung des Technik-Teams das Streaming-Angebot reduziert und teilweise auf reine Tonaufnahmen gesetzt. Gewisse Abstriche macht man auch in Rußheim, aus Urheberrechtsgründen oder bei der Beteiligung von Minderjährigen.
Mit der Telefonkirche Stutensee-Weingarten bietet Jörg Seiter, evangelischer Pfarrer aus Blankenloch, eine Besonderheit: „Das ist ein ökumenisches Projekt, das von allen evangelischen und katholischen Gemeinden der Region unterstützt wird.“ Ein Bestandteil davon ist das Predigttelefon „Predigt und mehr“, das er schon im März 2020 gestartet hat. Seine Frau Elke Seiter, Diakonin in Weingarten, gestaltet im „Ohrensessel“ vom 24. Dezember bis zum 6. Januar täglich eine neue Aufnahme mit Texten, Liedern und inspirierenden Gedanken: „Die Weihnachtszeit ist mit dem Heiligen Abend nicht vorbei.“
Alle Beiträge können nicht nur auf der Audiothek der Michaelisgemeinde angehört werden, sondern auch ganz analog durch Anrufen einer Festnetznummer zum Ortstarif.
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