Mannheimer Morgen Stadtausgabe, 16.12.2022

 

„Schöne“ Bescherung!

Eigentlich ist es ja an den Kirchen, in der Vorweihnachtszeit frohe Botschaften zu verkünden. Die Evangelische Kirchengemeinde Mannheim verfehlt dieses Ziel derzeit komplett. Ihre Entscheidung, den Neubau ihres Kindergartens auf der Rheinau abrupt zu stoppen, ist eine „schöne“ Bescherung für Kinder, Eltern und Mitarbeiterinnen. Und ein kindergartenpolitisches Desaster für diesen schwierigen Stadtteil.

Schon im Vorfeld war das Agieren der Kirchenführung unglücklich. Die Planung entstand nicht in vollem Einklang mit der Ortskirche. Die Grundkonzeption, für den Kindergarten-Neubau den Gemeindesaal zu opfern, entriss der Gemeinde ihr geselliges Herz. Daher wurde um jeden Quadratzentimeter heftig gerungen. Die Ortsgemeinde gab nur nach im Angesicht der Gefahr, sonst ihre Kita komplett zu verlieren.

Wenig professionell

Den Bau mittendrin zu stoppen, zeugt nicht von Professionalität der Verantwortlichen. Dass die Baupreise steigen würden, das war bei Baubeginn im Herbst doch schon klar. Ohnehin scheint die avisierte Bausumme von 2,8 Millionen Euro seltsam niedrig; die Kita etwa, deren Bau der Gemeinderat der Stadt Schriesheim am Mittwoch beschlossen hat, kostet sieben Millionen. Dass man das Gemeindehaus kurz vor dem Baustopp noch abgerissen hat, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Nun ist zumindest ein Bau weniger zu unterhalten – ein Schelm, der hier Arges denkt.

Nun besteht die Gefahr, dass der Ortskern eine Kita verliert. Was das bedeuten würde, zeigt ein Blick auf die Sozialstruktur Kern-Rheinaus: hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und Empfängern öffentlicher Leistungen, dazu viel Hochbebauung. Wo, wenn nicht hier, wäre intensive Kinderbetreuung und -erziehung unerlässlich?

Von der Realität entfernt

Wie weit die Verantwortlichen von dieser Realität entfernt sind, das zeigt ihre Öffentlichkeitsarbeit. Ohne mit einem Wort auf den Baustopp einzugehen, veröffentlicht die Kirchengemeinde eine Pressemitteilung, in der sie die Gewährung von 60 000 Euro durch die Landeskirche für Projekte in der Rheinauer Gemeinde bejubelt. „Versöhnungskirche wird das Herz der sorgenden Gemeinde im Stadtteil Rheinau“ – diese Überschrift muss betroffenen Eltern und Erzieherinnen wie Hohn in den Ohren klingen.

Die Stadt muss jetzt alles tun, um das Projekt zu retten. Auch Haushaltsmittel in die Hand nehmen, um die Fehler der Kirche auszubügeln – es gibt und gab schon schlechtere Zwecke, Steuergelder auszugeben. Die Kompetenzstreitigkeiten dürfen nicht auf dem Rücken der Kinder und ihrer Eltern ausgetragen werden.

Angesichts dessen weniger wichtig, aber dennoch bemerkenswert: Auch für die Institution Evangelische Kirche selbst wäre das eine tiefe Zäsur. Nach 121 Jahren gäbe es dann – im schlimmsten Fall – in Kern-Rheinau keinen evangelischen Kindergarten mehr. Welch ein Desaster!