Mannheimer Morgen Stadtausgabe, 16.12.2022

 

Bald eine Kita weniger?

Rheinau: Die Evangelische Stadtkirche stoppt Kindergarten-Neubau in der Versöhnungsgemeinde – die Zukunft ist jetzt völlig ungewiss

Von Konstantin Groß

Es herrscht eine große Leere. 60 Jahre steht hier der Gemeindesaal der Evangelischen Versöhnungskirche Rheinau. Seit einigen Wochen ist er weg, um Platz zu schaffen für den Neubau eines Kindergartens. Doch der kommt einstweilen nicht. Die Evangelische Stadtkirchengemeinde hat ihn abrupt gestoppt. Wann und wie es weitergeht, das ist völlig unklar. Möglicherweise hat Kern-Rheinau ab 2024 eine Kita weniger. Im Stadtteil sorgt das für Empörung.

Ursache ist der Anstieg der Baukosten. Kalkuliert waren 2,8 Millionen Euro. Die aktuell explodierenden Preise haben die ursprüngliche Berechnung zur Makulatur werden lassen: Inzwischen werden 3,9 Millionen Euro geschätzt. Es klafft also ein Loch von über einer Million.

Mit den Baukosten sind die Zuschüsse der Kommune jedoch nicht mitgewachsen. Die Stadt Mannheim habe ihre Investitionskostenzuschüsse vielmehr „seit dem Jahr 2017 nicht mehr an die Baukostenentwicklung angepasst“, kritisiert Kirsten de Vos, die Sprecherin der Evangelischen Stadtkirchengemeinde. Die entstandene Lücke von mittlerweile 1,1 Millionen Euro kann und will die Kirche aber nicht tragen.

Der Stadtkirchenrat zog daher die Reißleine und beschloss, das Bauprojekt sofort zu stoppen; lediglich der Abriss des Gemeindesaales wurde noch durchgezogen. Nach dem Willen der Kirche soll die Baustelle ruhen, „bis die Förderbedingungen mit der Stadt Mannheim aktualisiert und an die gegenwärtige Baukostenentwicklung angepasst sind.“ Erst wenn dies geschehen sei, „kann das Bauvorhaben umgesetzt werden“, macht de Vos klar. Wann damit zu rechnen ist, weiß auch sie nicht: „Es wurden uns für das kommende Jahr Gespräche in Aussicht gestellt“, berichtet die Kirchensprecherin.

Das Kritische: Für den bisherigen evangelischen Kindergarten in der Bruchsaler Straße läuft die Ausnahmeerlaubnis im August 2024 ab. Die Räumlichkeiten sind nicht mehr genehmigungsfähig, durften nur benutzt werden gegen die Zusicherung für den Neubau an der Versöhnungskirche. 2024 wird die Einrichtung auf jeden Fall geschlossen. Die derzeit noch verbliebenen 25 Betreuungsplätze gehen verloren.

Bei der Stadt weist man die Schuld an einer solchen Entwicklung weit von sich: „Die Verantwortlichkeit liegt erstmal bei dem Bauträger, also bei dem, der das so mit uns vereinbart hat“, entgegnet Stefanie Zuehlsdorff, die Pressesprecherin von Jugend-Bürgermeister Grunert (Grüne). „Aber wir wollen die Evangelische Kirche auch nicht hängen lassen nach dem Motto ,Das ist euer Problem’. Wir sehen das Problem.“ Die Verhandlungen seien im Gange: „Wir sind in Gesprächen mit der Evangelischen Kirche“, betont Zuehlsdorff: „Und wir haben da, glaube ich, auch einen ganz konstruktiven Umgang und werden eine Lösung finden. Aus unserer Sicht ist das auf einem positiven Weg.“ Aber eine Million sei eben „kein Pappenstiel“.

Die Stadt tue alles, um zu verhindern, dass Kern-Rheinau eine Kita verliert: „Es ist ja unser zentrales Anliegen, das der Stadt insgesamt und unseres Dezernates, die Situation in Mannheim zu verbessern, also die Kita-Ressourcen zu erweitern“, versichert die Stadt-Sprecherin: „Und da wäre es ja kontraproduktiv, wenn eine Kita schließen würde. Das wäre nicht in unserem Sinne.“

Und die Kommunalpolitik – was sagt sie? „Die Verantwortung liegt bei der Kirche“, macht SPD-Fraktionschef Thorsten Riehle klar: „Den Gemeindesaal abzureißen, ohne die notwendigen Mittel zum Neubau ausreichend eingeplant zu haben, ist ein seltsamer Vorgang.“ Die entstandene Lage sei „für Kinder, Eltern und die Beschäftigten eine Katastrophe“, weiß Riehle: „Insofern muss die Verwaltung aus meiner Sicht nun alles dafür tun, den Bau zu ermöglichen.“

Den Sachverhalt sieht die CDU genauso: „Die Evangelische Kirchengemeinde Mannheim hat sich auf den Neubau zu einem Zeitpunkt eingelassen, als die Förderbedingungen bereits beschlossen waren und diese der Evangelischen Kirche auch bekannt waren“, betont Fraktionschef Claudius Kranz.

Auch Alice van Scoter ist schockiert: „Nach der städtischen Standortkonzeption fehlen für Rheinau bis 2030 131 Plätze im U-3–Bereich und 101 im Ü-3–Bereich“, sagt die Grüne-Bezirksbeirätin. „Hier sollte man sich vor Augen führen, dass ein fehlender Kita-Platz Familien vor ein existenzielles Risiko stellt, weil davon die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit beider Elternteile abhängt.“