BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN - Brettener Nachrichten, 19.12.2022

 

Weniger Mitglieder, weniger Geld

Judith Midinet-Horst

Evangelische und katholische Kirchen stehen im Landkreis vor strukturellen Änderungen

Karlsruhe/Bruchsal. Die katholische und die evangelische Kirche verlieren enorm viele Mitglieder. Der evangelischen Kirche gehörten 2021 bundesweit noch 19,7 Millionen Menschen an, der katholischen Kirche knapp 21,7 Millionen.

Eine Studie der Universität Freiburg prognostiziert, dass beide Kirchen zusammen bis 2060 noch etwa 22 Millionen Mitglieder haben werden. Das hat weitreichende Folgen, auch für die Kirchengemeinden im Landkreis Karlsruhe.

Mit 30 Prozent weniger Einnahmen schon in den nächsten zehn Jahren rechnet man im evangelischen Kirchenbezirk Karlsruhe-Land, der 31 Pfarrgemeinden mit knapp 64.000 Mitgliedern rund um die Stadt Karlsruhe umfasst. 20 Prozent gehen auf weniger Steuereinnahmen zurück, zehn Prozent sollen trotzdem in Investitionen fließen.

„Wir wollen eine Kirche für die Zukunft bauen“, erklärt Dekan Martin Reppenhagen, „das gelingt nicht durch Sparen, dafür braucht es Investitionen.“ Denn eins ist für ihn klar: Kirche muss sich verändern in einer Gesellschaft, die selbst einem starken Wandel unterzogen ist.

Kirche sei nach wie vor ein „aktiver Player“ als Träger von allein 43 Kindertagesstätten im Kirchenbezirk, doch die Verbundenheit der Menschen zur Kirche fehle. Das Leben spiele sich im Speckgürtel um die Stadt Karlsruhe zwischen „Arbeitsplatz, Haus, Familie und Weber-Grill“ ab.

„Das Dorf ist ein Wohnort“, sagt Reppenhagen, „die meisten kennen aber die Traditionen nicht und wollen sie auch nicht kennen.“ Aufgabe der Kirche in Zukunft müsse deshalb sein, die Menschen abzuholen, die sich sonst selbst genug seien.

Ob die 62 Kirchen und Gemeindehäuser in den 31 Pfarrgemeinden im Kirchenbezirk für diesen Prozess genügend Flexibilität bieten oder nur immense Kostenfaktoren sind, müssen die Gemeinden bis 2023 entscheiden. Das verlangt die evangelische Landeskirche in Baden, die plant, die landeskirchliche Bezuschussung für die Gebäude zu reduzieren. 29 Gebäude haben den Zuschuss bereits sicher, doch beim Rest muss abgewägt werden.

„Wir müssen überlegen, ob wir in Gebäudesteine oder in lebendige Steine, nämlich Menschen investieren“, erklärt Reppenhagen. Er vertraue bei der Entscheidung auf die Dynamik in den Gemeinden, mit den Herausforderungen kreativ umzugehen. Bis 2036 möchte die Landeskirche zudem die Pfarrstellen im Kirchenbezirk schrittweise um acht Stellen reduzieren. Die 31 Pfarrgemeinden sollen des Weiteren in den nächsten Jahren in sechs Regionen umstrukturiert werden – ob sie fusionieren oder sich als Gemeindeverbände organisieren, bleibt den Gemeinden überlassen.

Diesen Schritt ist man im Kirchenbezirk Bretten-Bruchsal schon gegangen. „Wir denken schon länger in Regionen“, sagt Dekanin Ulrike Trautz. Seit 2021 stehen fünf Regionen im Kirchenbezirk fest: Bretten, Bruchsal, Rhein bis Kraichgau, Kraichtal und Südlicher Kraichgau.

Vorreiter ist dabei die Region Bretten, die als erste in der evangelischen Landeskirche in Baden einen Gemeindeverband gegründet und ihre Arbeit aufgenommen hat. Den Zukunftsprozess ihrer Kirche nimmt UIrike Trautz auch als Aufbruchstimmung wahr. „Wir wollen nicht nur reduzieren, sondern als Kirche auch inhaltlich und strukturell eine Rolle spielen“, sagt sie.

Auch die katholische Kirche rüstet sich für die Veränderungen. Unter dem Arbeitstitel „Kirchenentwicklung 2030“ plant die Erzdiözese Freiburg tiefgreifende Veränderungen sowie eine inhaltliche Neuorientierung der Arbeit in Pastoral, Bildung und Caritas. „Wenn Kirche zukunftsfähig bleiben möchte, ist ein ,weiter so wie bisher’ nicht möglich“, sagt Pressesprecher Marc Mudrak. Damit dies gelinge, seien Veränderungen der bisherigen Strukturen hin zu mehr Selbstorganisation und Selbstbestimmung wichtig. Auch setze die Erzdiözese auf ein neues Verständnis ehrenamtlichen Engagements in der Kirche, eine stärkere Unterstützung und Begleitung von Ehrenamtlichen und ein Umdenken bei der Wahrnehmung von Leitung vor Ort in den Gemeinden.

Zum 1. Januar 2026 werden die 1.048 Pfarreien der Erzdiözese in die Struktur von 36 neuen, kirchenrechtlich eigenständigen Pfarreien überführt, die zugleich Kirchengemeinden sind. Im Landkreis Karlsruhe sind folgende Zusammenschlüsse geplant: Das bisherige Dekanat Karlsruhe wird zweigeteilt in die „Pfarreien Neu“ Karlsruhe und Ettlingen – die Bezeichnungen sind noch reine Arbeitstitel.

Das Dekanat Bruchsal stellt mit rund 114.000 Katholiken die größte zukünftige „Pfarrei Neu“ dar. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss von bisher 43 Pfarreien.

Aus dem Dekanat Pforzheim, zu dem im Landkreis Karlsruhe Pfinztal gehört, wird ebenfalls eine neue „Pfarrei Neu“ Pforzheim entstehen.