Pforzheimer Kurier, 02.11.2022

 

Kirche soll mitten ins Leben gebracht werden

Von unserem Mitarbeiter Stefan Friedrich

Kirche muss da sein, wo die Menschen sind. Das ist die Überzeugung vieler Seelsorger. Sechs von ihnen – Susanne Bräutigam, Ruth Nakatenus, Esther Philipps, Andreas Quincke, Heike Reisner-Baral und Martina Walter – haben es am Dienstag nicht bei Gedankenspielen belassen, sondern sind zu einer unangekündigten Aktion auf den Hauptfriedhof gegangen, um mit den Menschen dort ins Gespräch zu kommen. Pop Up Church nennt sich dieses Format, das sie in Hamburg kennengelernt und nach Pforzheim mitgebracht haben.

Dass an diesem Tag etwas anders ist, das ist den vielen Besuchern schon kurz hinter dem Haupteingang aufgefallen: Die sechs Seelsorger von evangelischen Kirchengemeinden in Pforzheim warten dort bereits auf sie, alle in Talar gekleidet und alle mit einem Schild um den Hals, auf dem ihre Botschaft und ihr Anliegen steht: „Ein offenes Ohr, ich höre zu. Ich gehe mit.“ Es ist ein unerwartetes Bild für viele, allerdings kein unangenehmes. „Alle grüßen sehr freundlich und sind positiv überrascht“, zieht Klinikseelsorger Andreas Quincke nach einer knappen Stunde eine erste Bilanz. „Man rechnet natürlich nicht damit, dass wir hier sind“ – alleine schon deshalb nicht, weil Allerheiligen ja ein katholischer Feiertag ist, kein evangelischer. Trotzdem bleiben manche direkt stehen und wechseln ein paar Worte mit den Seelsorgern. „Einer hat gesagt: Finde ich gut, dass ihr sowas macht“, erzählt Quincke. Manche baten auch darum, dass sie zum Grab begleitet werden. Auch das gehörte zum Angebot der ersten Pop Up Church in Pforzheim.

Dass es eine solche in der Stadt braucht, davon ist nicht nur Ruth Nakatenus von der Friedensgemeinde überzeugt. „Es sind nicht mal 50 Prozent, die hier einer christlichen Kirche angehören“, gibt sie zu bedenken. „Wir sind in der Minderheit.“ Auch deshalb ist ihr noch gut im Ohr, was die Kollegen in Hamburg ihnen mit auf den Weg gegeben haben: „Wenn wir in unsere Kirchen sitzen bleiben und nur ein kleiner Teil der Menschen kommt, dann sind wir irgendwann gefrustet. Also müssen wir dahin gehen, wo die Menschen sind.“ Auch Nakatenus hat an diesem Morgen schon mit Besuchern des Hauptfriedhofs gesprochen, die ihr gesagt haben, wie toll sie die Aktion finden. „Mit zweien bin ich auch schon ans Grab gegangen.“ Sie erzählen dann von den Verstorbenen, von ihrem Kummer oder ihren Gefühlen, und die Pfarrerin hört ihnen zu. Andere schreiben etwas auf ein Banner, das nahe des Haupteingangs unter dem Motto „Was ich Dir noch gerne gesagt hätte“ aufgehängt ist. Darunter finden sich dann berührende Botschaften wie „Ich hätte früher mit dir reden sollen“ oder einfach nur: „Du fehlst.“

Der Reiz liegt darin, „dass wir vielleicht ganz überraschend irgendwo sind, wo wir uns vorher gar nicht angekündigt haben“, erklärt Susanne Bräutigam, Pfarrerin an der evangelischen Hoffnungsgemeinde. „Davon lebt Pop-Up.“ An diesem Dienstag wollten sie vor allem einmal ausprobieren, ob ein solches Angebot von den Menschen angenommen wird. Das ist der Fall, bemerkt Quincke zufrieden. Erste Überlegungen, an welchen Stellschrauben sie noch drehen können, um die Pop Up Church zu optimieren, hat er auch schon. Wenn sie das nächste Mal auf dem Hauptfriedhof sind, regt er an, wollen sie etwas früher vor Ort sein. „Als wir gegen zehn Uhr aufgebaut haben, war es schon voll.“ Ob das in diesem Jahr noch der Fall sein wird, am Totensonntag beispielsweise, das lassen sie bewusst offen. Vorab soll eben niemand wissen, wo die Seelsorger in den nächsten Wochen noch vorbeischauen. Nur so viel lässt Nakatenus durchblicken: Es wird sowohl innerhalb des Stadtgebiets sein, als auch außerhalb in den Stadtteilen. Und am liebsten natürlich dort, wo viele Menschen unterwegs sind.