Rhein-Neckar-Zeitung - Bergstraße/Mannheim - Weinheimer Rundschau, 02.11.2022

 

Hier waren die Kirchen mitten im Leben

Schriesheimer Christen begingen Reformationstag und Allerheiligen mit Stationenprojekt „Kirche hellwach“ – Sehr persönliche Statements

Von Marion Gottlob

Schriesheim. „Saures oder Süßes?“ Während Kinder und Jugendliche zu Halloween durch die nächtlichen Straßen von Schriesheim zogen, waren rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ökumenischen Aktion „Kirche hellwach“ mit einem Herzensmotto unterwegs: Frieden und Versöhnung. Organisatoren waren evangelische und katholische Christen aus der Weinstadt. Es ging nicht um theoretische Erörterungen, sondern um Impulse für das eigene Leben. Katholikin Brigitte Petrusch vom ökumenischen Organisationsteam erklärte: „Ich mache mit, weil mir die Ökumene wichtig ist.“ Die evangelische Diakonin Karin Rheinschmidt war das erste Mal dabei: „Es ist, als wäre ich schon lange in Schriesheim zu Hause.“

Die ökumenische Bewegung „bewegte“ sich an diesem Abend tatsächlich: Der Start war in der katholischen Kirche mit dem Lied „Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht – Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich“. Es folgte das Gleichnis vom verlorenen Sohn, gesprochen in Rollen mit Franziska Mersi als Sprecherin. Ilka Gängel gab den rebellischen Sohn: „Ich muss raus, und zwar jetzt. Ich brauche mein Erbteil.“ Aber der Sohn verschleudert sein Erbe in der Fremde. In tiefster Armut und Demut kehrt er zum Vater zurück: „Ich habe mich gegen den Himmel und Dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, Dein Sohn zu sein.“ Doch der Vater feiert aus Freude über die Rückkehr des verlorenen Sohns ein Fest.

Wunderbar sprach Bianca Schotten die Rolle des älteren, missmutigen Bruders: „Ich fasse es nicht. Ich schufte auf dem Feld, und hier wird gefeiert.“ Rheinschmidt als Vater: „Alles, was mein ist, ist auch Dein. Aber Dein Bruder war tot und lebt wieder.“ Ein Impuls für Frieden in der Familie! Es wurden auch die Schwächsten der Schwachen nicht vergessen. Florian Mersi sammelte mit der Kollekte Spenden für die Initiative „Lifegate“ in Israel, wo israelische, palästinensische und internationale Mitarbeiter Menschen mit schweren Behinderungen betreuen und fördern.

Von der katholischen Kirche ging es zum Alten Rathaus, zu einem Statement-Stopp. Mit dem evangelischen Posaunenchor unter der Leitung von Elisabeth Matthiesen sangen die Menschen den Kanon „Schalom chaverim“. Moderatorin Karin Coch begrüßte die Zuhörer: „Wir werden Gedanken und Berichte von Menschen aus unseren Reihen hören.“ Zuerst war Diplomtheologe Winfried Belz an der Reihe. Sein Thema war die Bedeutung der politischen Gerechtigkeit zur Lösung des Konflikts zwischen jüdischen Israelis und den muslimischen Palästinensern. Belz betonte: „Es kann keinen Frieden geben ohne Gerechtigkeit. Beide Seiten müssen die andere Seite ernstnehmen.“

Ein zweites Statement sprach Psychiater Markus Hermann. Der Mitarbeiter einer psychiatrischen Einrichtung leitet unter anderem das Deeskalationstraining für Mitarbeiter in der Psychiatrie im Umgang mit Patienten. Er erklärte: „Wir lernen im Rollenspiel, ruhig und bestimmt zu handeln, Angriffe nicht persönlich zu nehmen, sich Zeit zu nehmen und verlässlich zu sein.“ Er zitierte eine Kollegin: „Die Art und Weise, wie ein Konflikt ausgetragen wird, ist oft wichtiger als die Lösung, das heißt: Verletzungen oder Kränkungen auf der Beziehungsebene wirken viel länger als eine Niederlage auf der Sachebene.“

Am persönlichsten war das dritte Statement von Werner Monnier. Er war fast 30 Jahre lang alkoholkrank. Doch am 26. Januar 1996 lag ein Brief seiner Frau auf dem Tisch. Er sagte: „Ich hatte Angstschweiß auf der Stirn.“ Er wusste, dass er sein Leben ändern sollte. Bei der Heidelberger Suchtberatung „Blaues Kreuz“ fand er Unterstützung und besuchte das erste Mal die Schriesheimer Selbsthilfegruppe: „Ein schwerer Weg, er sollte sich lohnen, dort waren Menschen mit den gleichen Problemen.“

Monnier fand tatsächlich den Weg aus der Sucht zur „zufriedenen Abstinenz“. Der Brief seiner Frau ist bis heute in seinem Besitz. Er hat ihn nie geöffnet. Aber in der Folgezeit nahm sich das Paar jeden Freitag Zeit füreinander: „Jeder durfte 20 Minuten lang ohne Unterbrechung davon erzählen, wie es ihm in der Woche ergangen ist.“ Er sagte lächelnd: „Meine Frau hat mir nie Vorwürfe gemacht.“ Ein Zuhörer sagte: „Das ist ein Beitrag zu Frieden und Versöhnung, was nicht aus heiterem Himmel kommt.“

Die dritte Station war das evangelische Gemeindehaus, wo sich die Gäste mit heißem Tee und alkoholfreiem Punsch stärken konnten. Nach dem Film „Ein Dorf sieht schwarz“ versammelten sich die Menschen in der evangelischen Kirche. Diakonin Rheinschmidt sprach den Segen: „Wo Liebe und Güte wohnen, da ist unser Gott. Du Gott der Bibel, bei Dir ist alles gut aufgehoben. Bei Dir sind wir geborgen.“ Nach 22 Uhr strömten die Besucher hinaus in die Halloween-Nacht. Mit Impulsen für Frieden und Versöhnung.