Südkurier Pfullendorf Messkirch, 31.10.2022

 

Sogar Luther-Bonbons gibt’s

Schließen sich Gruselparty und Reformationstag aus? Pfarrerin Anja Kunkel sieht auch Verbindendes Mehr Menschen denken heute an Halloween

Meßkirch – Was darf es sein am heutigen 31. Oktober: Eine gruselige Halloweenparty oder ein besinnlicher Gottesdienst zum Reformationstag? Oder ist es sogar möglich, einfach beides zu feiern? Macht der beliebte Grusel dem evangelischen Gedenktag der Reformation Konkurrenz? Der SÜDKURIER hat mit Anja Kunkel, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde von Meßkirch, über Geisterspuk und Kirchentradition gesprochen.

Frau Kunkel, welche Bedeutung hat der 31. Oktober als Reformationstag für die evangelischen Christen?

Vor 505 Jahren, am 31. Oktober 1517, veröffentlichte der Theologe und Mönch Martin Luther in Wittenberg 95 Thesen gegen Missstände in der damaligen römisch-katholischen Kirche. Ob er die Flugschrift tatsächlich an die Tür der Schlosskirche gehämmert hat, wie es oft auf Bildern dargestellt wird, ist nicht gesichert. Sicher aber ist, dass seine kritischen Thesen an die Öffentlichkeit gelangten. Schnell wurden sie aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt, gedruckt, verbreitet und im ganzen Land diskutiert. Die Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers gilt als Beginn der Reformation. Die Reformation ist für unsere Kirche grundlegend. Der Reformationstag selbst spielt dabei keine so große Rolle. Das liegt vielleicht auch ganz praktisch daran, dass der Reformationstag bei uns immer in den Herbstferien liegt und viele verreisen. Der Grundgedanke der Reformation prägt aber unseren Glauben, die Verkündigung und das Leben. Allein der Glaube an Gott, allein Christus, allein die Schrift, allein die Gnade Gottes – diese vier Begriffe beschreiben die reformatorische Grundlage. Sonst braucht es nichts. Keinen Ablass, keinen Papst, keine Heiligen und auch keine Almosen. Mir ist es jeden Tag wichtig, dass ich Gott so recht bin, wie ich bin.

Wie wird dieser Tag gefeiert? Gibt es spezielle Gottesdienste?

Vor fünf Jahren gab es zum 500. Reformationsjubiläum sehr viele besondere Festgottesdienste direkt am Reformationstag. In den meisten Gemeinden wird er heute am Sonntag davor oder danach begangen. In unserem Dekanat gibt es am Reformationstag selbst Gottesdienste in der Christuskirche in Pfullendorf um 19 Uhr und in der Schlosskirche in Meersburg um 18 Uhr.

Sehen Sie Halloween als eine „Konkurrenzveranstaltung“ zum Reformationstag?

Ich bedauere es schon, dass am 31. Oktober mittlerweile wohl mehr Menschen an Halloween denken als an den Reformationstag. In einem Katalog habe ich mal gesehen, dass es Luther-Bonbons gibt. Die kann man dann an Halloween an die Kinder verteilen und hat so die Verbindung von beidem.

Kann es gelingen, den Reformationstag gebührend zu begehen und gleichzeitig auch den beliebten Grusel von Halloween genießen zu können? Oder schließt sich das aus?

Es gibt da mehr Verbindendes, als man vielleicht denkt. Bei Beidem spielt der Tod und was danach kommt eine große Rolle. Martin Luther hatte große Angst vor dem Tod. Er glaubte, dass er nicht gut genug sei, um vor Gott bestehen zu können und fürchtete sich vor der Hölle. Der Hintergrund von Halloween ist die Vorstellung, dass es Tote gibt, die zwischen Himmel und Hölle unterwegs sind und keine Ruhe finden. Mit einem Licht in einer Rübe oder einem Kürbis beleuchten sie ihren Weg. Die Geschenke sollen sie besänftigen und dazu bringen, weiterzuziehen. Nach dem Gruseln und Erschrecken kommt an Halloween ja oft auch das Lachen. Die Grundlage der Reformation ist Luthers Erkenntnis, dass Gläubige den Tod nicht mehr fürchten müssen, sondern ihn sogar auslachen können, weil Gott barmherzig ist.

Und eine abschließende Frage: Welche Bedeutung hat für die evangelischen Christen der morgige Allerheiligen-Tag am 1. November?

Dieser Tag spielt bei uns keine Rolle. Wie der Name sagt, wird an Allerheiligen aller Heiligen gedacht, die in der katholischen Kirche verehrt werden. Die evangelische Kirche kennt keine Heiligenverehrung. In der evangelischen Kirche wird den Verstorbenen am Toten- oder Ewigkeitssonntag, dem Sonntag vor dem 1. Advent gedacht.

Fragen: Stefanie Lorenz

Zur Person

Anja Kunkel wurde 1971 in Wertheim am Main geboren. Kunkel war ab 2006 Pfarrerin in Meersburg und seit 2015 Dekanatsstellvertreterin im Kirchenbezirk Überlingen-Stockach, zuständig für „Kirche und Tourismus“ und damit beispielsweise für die Kirchenschiffe auf dem Bodensee oder für die Initiative „Pilgern auf badisch“. Im September 2017 wechselte sie als Pfarrerin nach Meßkirch. Sie ist seit 1996 mit Pfarrer Uwe Reich-Kunkel verheiratet. Das Paar teilt sich inzwischen seit November 2021 die Pfarrstelle der evangelischen Kirchengemeinde Meßkirch. Zur Kirchengemeinde Meßkirch gehören auch Orte in den Gemeinden Sauldorf und Leibertingen. (slo)