Fränkische Nachrichten Wertheim, 31.10.2022

 

Ein „Halleluja“, Gebete und ein paar Liegestühle

Lange Nacht in der Stiftskirche: Reformation von 1522 mit buntem Mix aus Musik, Segnungen und andächtigen Zeiten begangen

Von Matthias Ernst

Wertheim. Die „lange Nacht in der Stiftskirche“ bleibt hoffentlich kein einmaliges Erlebnis, so die Zusammenfassung der Stimmen vieler Besucher am vergangenen Freitag. Fast den ganzen Abend hielten viele aus, lauschten der Musik und versammelten sich teilweise auch im Gebet.

Dekanin Wibke Klomp und ihr Team hatte sich viel einfallen lassen, um die Menschen in die Kirche zu locken.

Anlass für die große Musiknacht war, dass Wertheim im Jahr 1522 unter Graf Georg II. zum evangelischen Glauben wechselte. Auf dem Wormser Reichstag 1521 hatte der junge Wertheimer Graf erstmals Gelegenheit, Luther persönlich kennenzulernen. Georg II. gehörte dem Reichstagsausschuss an, der Martin Luther zum Widerruf bewegen sollte. Luther widerrief nicht, und ein Jahr später bat Graf Georg den Reformator um die Empfehlung eines geeigneten Predigers für Wertheim. Dies gilt als Geburtsstunde des evangelischen Glaubens in Wertheim – ein guter Grund, dies nun zu feiern.

Was hätte da besser gepasst, als dieses denkwürdige Datum mit Musik zu zelebrieren, dachten Wibke Klomp und Bezirkskantor Carsten Wiedemann-Hohl. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Kirchengemeinde stellte man ein anspruchsvolles Programm zusammen.

Beginn war ein Turmblasen. Die Menschen vor der Kirche lauschten den Tönen auch im Dunkeln auf der Straße und dem Kirchplatz. „Toll, dass so etwas hier angeboten wird“, freute sich Daniela Höfer aus Neubrunn. Sie und ihr Mann waren extra zu der Veranstaltung nach Wertheim gekommen, um die andere Art der Feier der Reformation mitzuerleben.

Nach dem Spiel der Turmbläser ging man gemeinsam in die Kirche, wo gleich am Eingang Getränke gegen eine Spende abgegeben wurden. Der neue Pfarrer Uwe Sulger und Rainer Dreikorn mixten Cocktails. Es kleine Knabbereien. Vor dem Altar baute schon der Bezirksposauenchor auf. Gewaltig klangen die Lieder der Blechbläser in der Kirche, wieder geleitet von Carsten Wiedemann-Hohl. Bei dem Stück „Gabrielas Song“ aus dem Film „Wie im Himmel“kam echtes Gänsehautgefühl auf.

„Probieren Sie alles aus und schauen Sie sich um“, lud Dekanin Wibke Klomp die Besucher ein, die Stiftskirche auf Herz und Nieren zu prüfen. Die machten reichlich Gebrauch davon, auch von den Segnungen in der Sakristei.

Richtig gut kamen auch die Liegestühle in der Apsis an. So konnte man, ohne den Kopf zu verdrehen, die wunderschönen Deckenmalereien betrachten. „Die Idee mit den Liegestühlen finde ich klasse, da kann man endlich mal in Ruhe an die Decke sehen“, freute sich Reinhilde Förtig. Sie bedauerte allerdings, dass so wenige junge Menschen den Weg in die Kirche gefunden hatten. Trotzdem war Dekanin Klomp vollauf zufrieden. Sie bestätigte im Gespräch mit dieser Zeitung, dass mehrere Konfirmanden anwesend waren.

Die brachten sich beispielsweise beim gemeinsamen Singen mit dem Stiftschor beim „Halleluja“ von Georg Friedrich Händel ein.

Das „Halleluja für und mit Wertheim“, wie es Wibke Klomp bezeichnete, war sehr beeindruckend, ebenso wie die Stille danach, als das Friedensgebet zelebriert wurde, so wie jeden Tag seit dem 25, Februar 2022, dem Tag des Kriegsbeginns in der Ukraine.

Von diesem Wechsel zwischen M usik und Stille lebte die Veranstaltung. Ein weiteres Glanzlicht war der Auftritt des Jugendchors. Die acht jungen Damen bekamen die Kirche und ihre Besucher mühelos in den Griff, so schön und gefühlvoll erklangen ihre Lieder. Mit Orgelmusik zu später Stunde und dem Abendsegen für die Nacht endete der gelungene Versuch, das Reformationswochenende einzuleiten.