Rhein-Neckar-Zeitung - Mosbacher Nachrichten, 25.10.2022

 

„Erinnerung geschieht hier und heute“

Landesbischöfin Prof. Dr. Heike Springhard gedachte in Neckarzimmern den nach Gurs deportierten badischen Juden

Von Dorothea Damm

Neckarzimmern. Vor 82 Jahren blieb vielen jüdischen Familien in Baden nur wenig Zeit, um einige Habseligkeiten zusammenzupacken, bevor man sie in einen Zug mit unbekanntem Ziel trieb. Heute wissen wir, dass diese Fahrt im südwestfranzösischen Lager Gurs endete. Jenem Lager am Fuße der Pyrenäen, das für die mehr als 5600 Menschen aus Baden etwa zwei Jahre zum „Vorhof der Hölle wurde“. Danach waren es wiederum Züge, die die noch verbliebenen ehemaligen Einwohner Badens nach Auschwitz brachten, wo viele – endgültig in der Hölle auf Erden angekommen – den Tod fanden.

Tröstende und gleichzeitig mahnende Worte findet zum alljährlich in Neckarzimmern am Mahnmal stattfindenden Gedenken an jene Deportationen Landesbischöfin Prof. Dr. Heike Springhart. „Zahlen und geschichtliche Eckdaten können kaum fassen, wie da Menschen aus unserer Mitte gerissen wurden“, betont sie und ergänzt: „Die Gedenksteine hier erinnern daran und setzen ihnen ein Denkmal.“ Aufgestellt in der Form eines Davidsterns erinnern in Neckarzimmern – der zentralen Gedenkstätte der Katholischen Erzdiözese Freiburg und der Evangelischen Landeskirchen in Baden – Zwillingssteine an das Leid der Jüdinnen und Juden in allen Gemeinden, aus denen Menschen deportiert wurden. Fast alle Gemeinden haben sich schon an dem Projekt beteiligt und in kreativer und oft innovativer Weise zwei Steine geschaffen, von denen jeweils einer in Neckarzimmern und einer am Heimatort aufgestellt wird. Neu dazu kam in diesem Jahr der Stein aus Stein am Kocher.

„Eigentlich ist es gar kein Stein“, erklärte dann eine der Initiatorinnen. Aus einer über hundertjährigen Eiche hatten junge Frauen und Mädchen, die sich gemeinsam in der katholischen Kirchengemeinde in Stein engagierten, ein Denkmal nach ihren eigenen religiösen Vorstellungen geschafften, das an eine Mutter und eine Tochter erinnert, die in Auschwitz ums Leben kamen. Vier verschiedene Holzbalken stellen eine stilisierte Himmelstreppe dar, auf der die beiden Frauen – als Metallfiguren sichtbar – gemeinsam zu einem aus Tuffstein gefertigten Himmelstor hinaufsteigen.

„Die Aufgabe hat uns beeindruckt“, brachten die jungen Leute zum Ausdruck und betonten, wie wichtig ihnen die Arbeit an dem Projekt gewesen sei. Dankbar zeigte sich auch Bürgermeister Andreas Konrad, der gemeinsam mit dem Ortsvorsteher und vielen weiteren Bürgern aus Stein am Kocher nach Neckarzimmern gekommen war. Die jungen Frauen aus dem heutigen Ortsteil von Neuenstadt am Kocher haben viel über die beiden Frauen gelesen und damit ihr Leben wieder in Erinnerung gerufen. Lebensschicksale und das große Unrecht, das den Menschen damals angetan wurde, wurden auch hörbar, erlebbar und fühlbar, als Susanne Christ und Johanna Mugabi Briefe verlasen, die Einblicke gaben in den Schmerz und das Schicksal der Menschen.

„Wir lassen den Schmerz an uns herankommen und lassen uns bewegen, genau hinzusehen – denn Erinnerung findet nicht in der Vergangenheit statt, sondern immer im Hier und Jetzt“, betonte Springhart in ihrer engagierten und emotionalen Rede. Zuvor hatte bereits Eva Söffge, die vonseiten des Fördervereins Mahnmal die Gedenkfeier eröffnete, betont: „Nur wer sich erinnert, der kann Gegenwart und Zukunft gestalten. Wer weiß, was geschehen kann, wenn Hass, Verachtung und Gleichgültigkeit regieren, weiß, dass sie oder er heute gegen Unmenschlichkeit, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus eintreten muss“.

Die vielen Besucher des Mahnmals haben sich – begleitet durch die emotionalen Musikstücke, vorgetragen vom Streicherinnenensemble der Musikschule Mosbach unter Leitung von Daniela Tomas – darauf eingelassen, das Schicksal der deportierten Nachbarn an sich heranzulassen. In der Erinnerung sind jene Leben, die von mörderischem Hass gewaltsam beendet wurden, wieder auferstanden.

Im abschließenden Gebet brachte Dekan Folkhart Krall seine Zuversicht zum Ausdruck, dass die, die damals gelitten haben, heute bei Gott geborgen sind. Aber es bleibt die Sehnsucht danach, dass alle Menschen in Frieden und ohne Angst leben können. „Erinnern wir uns. Gedenken wir. Geben wir der Trauer Raum und dem Hass keine Chance“, brachte es zuvor die Landesbischöfin auf den Punkt.