Der Krieg ist das erste große Thema
Von unserem Redaktionsmitglied Sebastian RaviolBundespräsident Steinmeier fordert eine klare Haltung beim Weltkirchentreffen in Karlsruhe
Karlsruhe. Der Kampf um die Aufmerksamkeit ist am Mittwoch vor dem Kongresszentrum in vollem Gange. Menschen verteilen Flyer für einen Gottesdienst, der Heilung von Krankheiten verspricht. Einige Meter weiter heizen Musiker aus fünf Nationen mit Trompete und Akkordeon ein. Doch der heimliche Sieger dieses Wettbewerbs ist Nam Ki Pyung mit seinen Helfern vor einem kleinen weißen Zelt. Kein Passant entgeht ihnen, jeder wird herzlich ans Zelt gerufen. „Unterschreiben Sie hier, um den Koreakrieg zu beenden“, steht auf einem Spruchband. Die Menschen tragen sich in eine Liste ein, posieren für ein Foto, Nam Ki Pyung und seine Helfer applaudieren für jede Unterschrift. Warum sie alle hier sind: Die Bühne des Weltkirchentreffens.
Über 4.000 Christinnen und Christen aus aller Welt tauschen sich seit Mittwoch und bis zum 8. September in Karlsruhe aus. Es ist die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK). Rund 350 christliche Kirchen mit weltweit mehr als 580 Millionen Menschen sind im ÖRK vertreten. Die Ausrichtung ist für die Stadt eine große Ehre, vor vier Jahren hat man sich gegen Mitbewerber Kapstadt durchgesetzt. Nach Versammlungen in Amsterdam, Neu-Delhi oder Porto Alegre tagen die Christen erstmals in Deutschland.
Es ist ein schicksalhaftes Weltkirchentreffen. Teile der russisch-orthodoxen Kirche, vor allem Patriarch Kyrill aus Moskau, sprechen sich für den Krieg in der Ukraine aus. Vertreter kamen nun ebenso nach Karlsruhe, wie elf ukrainische Gläubige. Wie viel Spannung hält diese ökumenische Gemeinschaft aus? Gibt es ein klares Zeichen an Kriegstreiber Putin? Diese Fragen werden die Versammlung begleiten.
Andere Konflikte auf der Welt dürfe man aber nicht vergessen, betonten ÖRK-Verantwortliche. Aus Sicht von Nam Ki Pyung ist das der Koreakrieg, der nach 70 Jahren im Waffenstillstand verharre und somit nicht beendet sei. Nordkoreaner lebten noch immer eingeschlossen hinter Stacheldraht. „Viele hier wissen nichts über diesen Krieg“, sagt Ki Pyung. Mit seiner Bewegung möchte er in Karlsruhe und weltweit Unterschriften sammeln, sie der UN übergeben und eine Friedenserklärung erreichen. „Dieser Konflikt wirkt sich auf viele andere aus, mit ihm wollen wir anfangen“, sagt er. An jedem Versammlungstag möchte er zehn Stunden lang vor seinem Zelt stehen, freundlich sein, und Unterschriften sammeln. Es ist eine Art, mit Konflikten umzugehen.
Eine andere Art bekommen die Delegierten der Versammlung in der Schwarzwaldhalle zu hören. Dort war mit Spannung der Auftritt von Frank-Walter Steinmeier erwartet worden. Wie sich der Bundespräsident zur Rolle Russlands im Krieg äußert, hat Signalwirkung für die ganze Versammlung. Ausführlich, direkt und laut geht Steinmeier in seiner Rede darauf ein. Die Führer der russisch-orthodoxen Kirche führten ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche auf einen schlimmen Irrweg, polterte Steinmeier unter Applaus und erinnerte an die vielen Opfer. „Darüber darf es auch hier und heute kein Schweigen geben“, betonte er. Anwesende Vertreter müssten sich Kritik gefallen lassen. „Die russisch-orthodoxe Kirchenführung hat sich mit den Verbrechen des Krieges gegen die Ukraine gemein gemacht“, sagte Steinmeier.
Als die Delegierten dem Bundespräsidenten für seine klaren Worte immer wieder applaudieren, steht Priester Oleg Kuchta von der russisch-orthodoxen Gemeinde Karlsruhe noch vor der Schwarzwaldhalle. Als Politiker könne Steinmeier diese Worte wählen, sagt Kuchta. „Wir aber dürfen nicht werten.“ Die Frage, wer den Krieg begonnen habe, sei in seiner Gemeinde tabu. „Unsere Gemeinde hat es im Februar fast zerrissen“, sagt Kuchta. Darin kämen sowohl Ukrainer als auch Russen zusammen. „Wir haben von so viel Leid gehört – von beiden Seiten.“ Bloß nicht positionieren. Doch einen Spielraum sehe und nutze er in seiner Gemeinde, sagt Kuchta. „Wir beten nicht für den Patriarchen.“ Nicht einmal den Namen Kyrill spreche man aus. „Auch wenn er ein schrecklicher Patriarch ist“, sagt Kuchta, „wir sind an ihn gebunden.“
Die Worte am Mittwoch waren ein Vorgeschmack auf die Diskussionen der Delegierten. Voraussichtlich am Freitagvormittag wird der Krieg in der Ukraine ein großes Thema sein, dann wollen die Gläubigen generell über auf den „Weg hin zu Solidarität und Frieden“ sprechen.
Es ist natürlich nicht das einzige Thema dieses alle acht Jahre stattfindenden Treffens. Die christliche Gemeinschaft müsse neu zusammenfinden und sich zu wichtigen gesellschaftlichen Themen positionieren, sagte ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca. Er nannte Klimagerechtigkeit, Rassismus und Hungersnot als Beispiele. „Menschen sterben“, betonte er. „Karlsruhe wird ein neuer Anfang sein.“ Die Beschlüsse bestimmten die Arbeit des ÖRK. Sauca sprach daher von einer „Zusammenkunft von historischer Bedeutung“.
Schon jetzt bahnt sich aber ein weiteres kritisches Thema an: Von der anglikanischen Kirche von Südafrika liegt ein israelkritischer Antrag vor. Es geht um den Nahostkonflikt und die Frage, ob die Versammlung Israel als Apartheitstaat bezeichnen sollte. Mehrere Vertreter hatten dem ÖRK in der Frage eine einseitige Sicht gegen Israel und sogar Antisemitismus vorgeworfen. „Wir lehnen alle Formen von Antisemitismus ab, verurteilen sie und prangern sie an“, sagte Sauca. Doch die großen Antworten auf diese Fragen werden in den kommenden Tagen in Karlsruhe von der Versammlung selbst kommen müssen.
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