Badische Zeitung Freiburg im Breisgau, 30.08.2022

 

Den Weg zu sich selbst gehen

Pilgern direkt vor der Haustüre / Kirchen mit vielfältigem Angebot

Von Dominik Bloedner
Es ist eine karge Unterkunft. Zwei Stockbetten, ein großes Holzkreuz mit Jesusfigur an der Wand, Kachelboden, Toilette und ein Waschbecken mit kaltem Wasser, Mikrowelle und Wasserkocher in der Ecke; manchmal braucht der Mensch ja etwas Warmes. Hier, in einem ehemaligen Duschraum des Christophorus Jugendwerks in Oberrimsingen bei Breisach, legen sie nachts ihr müdes Haupt auf die Kissen, die Pilgerinnen und Pilger, die auf dem Jakobsweg Richtung Santiago de Compostela in Nordwestspanien unterwegs sind. 50 bis 80 Menschen pro Jahr lassen sich den Schlüssel für die Herberge und einen Stempel in den Pilgerpass geben und entrichten vor dem Aufbruch am nächsten Morgen ihren Obolus: fünf Euro für das bescheidene Nachtlager.
Oberrimsingen liegt an einer der vielen Hauptrouten des bekannten Pilgerwegs, diese orientieren sich an mittelalterlichen Handelswegen. Die Schwarzwälder Route führt von Rothenburg ob der Tauber über Esslingen, Tübingen und Rottenburg am Neckar nach Wolfach, Elzach, Freiburg und später Richtung Südwesten durch die burgundische Pforte.
Dann gibt es noch unzählige Nebenrouten wie etwa den Kinzigtäler Jakobsweg, der sieben Etappen hat und auf dem sogar das Eisenkreuz Cruz de Ferro nachgebildet ist, das im Original in den Montes de León in Nordspanien den höchsten Punkt des Jakobswegs Camino Francés auf 1500 Metern Höhe markiert. Die Zugangsrouten führen zu ehemaligen Sammelpunkten wie Ettenheim, Schutterwald oder Freiburg (siehe Grafik). Denn früher war die lange Reise gefährlich, die Pilger zogen meist nur in Gruppen los.
Viele Wege führen nach Santiago zum Grab des Apostels, viele lokale Initiativen kümmern sich um diese Routen, markieren sie mit der Pilgermuschel, beschreiben und bewerben sie. Die Herberge in Oberrimsingen wird gestellt von der Badischen St. Jakobusgesellschaft (siehe Interview unten), diese ist für den mittleren und südlichen Teil des Badischen Jakobswegs entlang des Rheins verantwortlich.
Pilgerwege wie der Jakobsweg liegen also vor der Haustüre. Und das Endziel muss nicht immer Santiago heißen. Die beiden Bistümer und die beiden Landeskirchen in Baden-Württemberg haben ein vielfältiges Programm mit regionalen Pilgerwegen und Angeboten zum spirituellen Wandern. „Neben den Teilstrecken großer europäische Kultur- und Pilgerwege gibt es dafür eine Vielzahl regionaler Wege in Baden-Württemberg, die Pilgerinnen und Pilgern die Möglichkeit bieten, sich wieder mit Gott zu verbinden oder einfach auch nur eine wohltuende Auszeit von der Hektik des Alltags zu nehmen“, sagt Achim Wicker von der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Auch Detlef Lienau, Pilgerbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden und Leiter der Evangelischen Erwachsenenbildung Freiburg, sagt: „Pilgern, das ist nicht nur der Jakobsweg. Auch der Martinusweg hat sich inzwischen etabliert.“ Der 2011 eröffnete Pilgerweg quert Baden-Württemberg auf dem Weg von Ungarn nach Frankreich zum Grab des Heiligen Martin von Tours. Zudem gebe es, so Lienau, viele lokale und kürzere spirituelle Spazier- und Wanderwege. Das spezielle Angebot an Frauen „Pilger. Schön“ etwa starte in Nordbaden und gehe Richtung Bodensee.
Lienau selbst bietet Nachtwanderungen von Freiburg nach St. Ottilien oder auf den Lindenberg an. „Es geht den Teilnehmenden dabei um eine Auszeit vom Alltag und darum, den Horizont auf das Größte zu öffnen, was es gibt: Gott“, sagt er. Und es gehe um Naturspiritualität.
Diese wird auch im Nationalpark Schwarzwald beworben. Im Angebot sind Pilgerspaziergänge, ökumenische Gottesdienste, Abendgebete auf der Hornisgrinde, dem mit 1164 Metern höchsten Berg im Nordschwarzwald. „Seit jeher entdecken Menschen, dass sie in der Natur einen besonderen Zugang zu Gott finden. Stille und Langsamkeit, Weite und Ausblick bringen uns Sinn- und Lebensfragen neu ins Bewusstsein“, heißt es in dem unlängst erschienenen Flyer zum Pilgern der Landesarbeitsgemeinschaft Kirche und Tourismus in Baden-Württemberg. Und weiter: „Wir erleben in uns verborgene Seiten des Menschseins – eine Ahnung vom Reichtum der Spiritualität.“
Auf der Tourismusmesse CMT wirbt die Arbeitsgemeinschaft mit Slogans wie „Unterwegs mit Gottes Segen“ oder „Urlaub für die Seele“; weiter fördert und begleitet sie seelsorgerische Tätigkeiten in touristischen Hotspots wie etwa dem Europa-Park in Rust. Spirituelle Reisen liegen im Trend. „Wer dem Zeichen der Jakobsmuschel im Schwarzwald folgt, findet Erholung in der Natur und kommt an Kirchen und Klöstern vorbei, die zu besinnlichen Momenten einladen“, sagt Jutta Ulrich von der Schwarzwald Tourismus GmbH in Freiburg. „Auch wenn Pilgerreisen einen kleinen Teil des Gesamtgästeaufkommens ausmachen, ist die Nachfrage nach dieser Form des Reisens in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.“

Weitere Infos zum Pilgern in der Region unter: www.pilgerland-bw.de