Die Wege der Frauen
Diana DeutschDie hölzerne Brücke ist alt und vermoost. Wenn mehrere Menschen darauf stehen, ächzt sie bedenklich. Darunter das Nichts. 15 Meter tief. „Ungeheuer-klamm“ nennt man diesen mystischen Ort bei Bruchsal-Untergrombach, zu dem Menschen schon vor allen Zeiten gepilgert sind. Um sich neue Kraft zu holen.
So wie sie auch hinaufgestiegen sind zum Michaelsberg, gleich nebenan. „Dieser Berg hat etwas Magnetisches, was ihn unglaublich stark macht“, findet Corinna Lochmann. Sie ist Stadtplanerin und befasst sich hauptberuflich mit der spirituellen Energie von Orten. Im Auftrag der Badischen Landeskirche konzipiert Lochmann derzeit einen Pilgerweg speziell für Frauen. „Pilger.Schön“. Am 16. September wird die fünfte Etappe eingeweiht. E ultreia!
Pilgern ist eine langsame Fortbewegungsart. Vielleicht ist das der größte Unterschied zum Wandern. Einem Pilger geht es nicht darum, möglichst schnell möglichst weit zu kommen. Er will im Gehen Gott finden. Und sich selbst. Das funktioniert jedoch nicht automatisch. Manchmal braucht’s ein wenig Hilfe. Hier setzt der evangelische Frauenpilgerweg an.
„Berge, Schluchten, Wälder, Steine und Meere sind so beschaffen, dass sie zu uns sprechen“, sagt Corinna Lochmann. „Aber wir haben verlernt, ihnen zuzuhören.“ Genau das möchte die Diplom-Ingenieurin ändern. „Mit etwas Übung kann jeder Mensch die Kraftorte der Natur finden und sich an ihnen stärken“, glaubt Lochmann. Man muss sich nur Zeit nehmen, immer mal wieder eine Weile die Augen schließen und warten, was sich im Inneren zeigt. Das können Farben sein, Gefühle, Erinnerungen, neue Ideen. Genau darum gehe es bei „Pilger.Schön“, sagt Lochmann. Weniger Information für den Kopf, mehr Gespür für die Heiligkeit der Orte.
„Wenn ich an die Dinge der Welt dachte, vergnügte ich mich erst sehr. Doch danach fand ich mich trocken und unzufrieden“, schreibt Ignatius von Loyola, der Urpilger, in seinen Memoiren. „Wenn ich jedoch daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nur Kräuter zu essen, blieb ich zufrieden und froh.“
2017 wurde der evangelische Frauenpilgerweg „Pilger.Schön“ in Wertheim gestartet. Die erste – und bislang längste – Etappe führte bis Mosbach. Dann ging es weiter nach Heidelberg, an der Bergstraße entlang über Mannheim nach Schwetzingen und schließlich durch den Kraichgau. Bei Etappe fünf, die jetzt Premiere hat, geht die Pilgertour von Bruchsal nach Pforzheim. „Zu jeder Etappe ist ein ausführliches Handbuch erschienen, das man bei uns bestellen kann“, sagt Anke Ruth-Klumbies, die Leiterin der Abteilung Evangelische Frauen bei der Badischen Landeskirche. Der Wegweiser ist nicht schwer und für 12 Euro auch nicht teuer. Er hat eine handliche Größe und enthält enorm viele Tipps.
Die jüngste Etappe folgt den Spuren der badischen Markgräfinnen. Zwölf waren es. Allesamt starke Frauen. „Aber keine von ihnen kommt in Geschichtsbüchern vor oder steht als Standbild in einem Park“, bedauert Corinna Lochmann. Lediglich in einer Karlsruher Unterführung begegnet man neuerdings Markgräfin Caroline Luise. Als gespraytes Graffito.
Fünf markgräfliche Schlösser säumen die fünfte Pilgeretappe. Das wahrscheinlich interessanteste ist die Augus-tenburg in Grötzingen. Markgräfin Augusta Maria hat sie sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts bauen lassen. Als Witwensitz. Später lebte hier eine Malerkolonie, die das Dorf geprägt hat. Bis heute nennt sich Grötzingen „das Malerdorf.“
In Langensteinbach trifft der Frauenpilgerweg auf die St. Barbara-Kapelle. Sie ist ein uraltes keltisches Quellheiligtum. Womit wir wieder bei der Heilkraft der Erde wären. „Feuer und Luft sind die beiden männlichen Elemente“, erklärt Corinna Lochmann. „Erde und Wasser sind weiblich.“ Aus ihnen entspringt alles Leben. „Weshalb man bei alten Kirchen immer eine Quelle oder Wasseradern findet“, weiß Lochmann. Schon die Menschen in der Vorzeit hätten ihre Kultstätten an Stellen gebaut, wo Wasser, Felsen und starke Bäume einen heiligen Dreiklang bilden. „Man stellt sich Gott ja immer im Himmel vor“, lächelt Corinna Lochmann. „Aber ich glaube, er ist auch in der Erde.“
„Die größte Tröstung, die ich empfing, war, in den Himmel zu schauen und in die Sterne“, schreibt Pilgervater Ignatius von Loyola in seinem Lebensbericht. „Dies tat ich viele Male und über lange Zeit hinweg.“
Barbara Mai ist Erzieherin, wohnt in Eppelheim und pilgert mit Begeisterung. Schon seit der allerersten Etappe schwärmt sie für „Pilger.Schön“. „In einer reinen Frauengruppe ist die Stimmung einfach anders, als in einer gemischte Gruppe“, findet Mai. „Vertrauter. Offener. Selbst wenn vom Alter her die ganze Bandbreite zwischen 35 und 75 geboten ist.“ Corinna Lochmann nickt. Sie hat ebenfalls festgestellt, dass Frauen und Männer völlig unterschiedlich pilgern. „Männer denken leistungsorientierter. Wenn sie heute 25 Kilometer gelaufen sind, müssen es morgen 33 sein.“ Frauen hingegen ließen sich lieber „in die Stimmung eines Ortes hineinfallen“. Sie bewegten sich langsamer, gingen aufmerksamer und hielten öfter mal inne, um die Umgebung zu betrachten. „Außerdem ist es in einer reinen Frauengruppe heimeliger.“
Beim Gehen, sagt Barbara Mai, habe sie immer wieder erstaunliche Gemeinsamkeiten mit Frauen entdeckt, die sie vorher noch nie gesehen hatte. „Unter Pilgerinnen hat man eigentlich immer ein Thema, über das man sprechen kann“, findet die Eppelheimerin. Und seien es nur die kleinen Entdeckungen am Wegrand. „Mir haben auch die Andachten gut gefallen, die an besonders schönen Orten eingeschoben wurden. Meist mit supertollen Texten.“
Aber natürlich ist eine Pilgerwanderung kein Schulausflug. Das wichtigste Element jeder „Pilger.Schön“-Etappe ist das Schweigen. Immer wieder geht die Gruppe längere Strecken in absoluter Stille. „Mir haben diese Schweigestrecken richtig gut getan“, erinnert sich Barbara Mai. „Man vergisst alles um sich herum und kommt zu sich selbst. Und dass man mal eine längere Strecke neben jemandem herläuft, ohne mit ihm zu reden, fand ich auch eine interessante Erfahrung.“ Wer pilgert, fühlt sowohl seinen eigenen Köper als auch den Körper der Erde, überlegt Corinna Lochmann. Wenn man beides in Einklang bringt, entdeckt man die Spur Gottes. „Alle Pilger suchen Erfahrungen, die für ihr Leben bedeutsam sind. Solche Momente lassen sich aber nicht planen, die müssen sich einstellen.“
Informationen zum evangelischen Frauenpilgerweg „Pilger.Schön“ und die Handbücher gibt es bei der Evangelischen Landeskirche, Abteilung Evangelische Frauen in Baden, Blumenstraße
1-7, 76133 Karlsruhe, Telefon 0721/
9175-323, E-Mail: frauen@ekiba.de, www.evangelische-frauen-baden.de.