Rhein-Neckar-Zeitung - Nordbadische Nachrichten, 28.06.2022

 

Seit 75 Jahren ein „Christus-Wunder“

Evangelische Kirchengemeinde Walldürn feiert Jubiläum – Kleine, aber lebendige Gemeinschaft mit großen Aktivitäten

Walldürn. (Sti.) Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der evangelischen Kirchengemeinde fand am Sonntag in der Pfarrkirche ein feierlicher Festgottesdienst mit Prälat Prof. Dr. Traugott Schächtele, dem evangelischen Gemeindepfarrer Karl Kreß sowie zahlreichen geladenen Ehrengästen und Gottesdienstbesuchern statt. Für den musikalischen Rahmen sorgte ein Projektchor unter der Leitung von Hyun Soo Park.

Nach dem Einzug betonte der Prälat, dass alle Christen als Volk Gottes bleibend unterwegs seien, dabei allzeit auf Gott und die Mitmenschen angewiesen. Schächtele übermittelte außerdem die Grüße der evangelischen Landeskirche Baden und des evangelischen Kirchenkreises Nordbaden. Zwar stelle dieses 75-jährige Bestehen in der über 2000-jährigen Geschichte des Christentums nur eine kurze Zeitspanne dar, dafür aber im Vergleich mit einem Menschenleben hingegen eine sehr ordentliche Zeitspanne. „Verfolgt man heute aufmerksam die Geschichte der Stadt Walldürn, der Kirche und der evangelischen Kirchengemeinde Walldürn in einem gemeinsamen Rückblick, so stellt man eine immer stärkere Entwindung der Kirche fest“, bedauerte der Geistliche.

Anschließend stellte der Prälat das dritte Kapitel der Jona-Geschichte in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Damit zeigte er auf, dass es für alle Christen gelte, als stetig wanderndes Gottesvolk fest an Gott zu glauben und in stetiger Aufbruchstimmung bereit dazu zu sein, sich allzeit auf den Weg zu ihm zu machen und Buße zu tun. Traugott Schächtele bezeichnete die evangelische Kirchengemeinde Walldürn als ein „Christus-Wunder“, das seit 75 Jahren den „Glauben unterwegs“ praktiziere.

Auch Dekan Rüdiger Krauth gratulierte der Kirchengemeinde zu ihrem Jubiläum. Er lobte, wie klug die Walldürner Institution stets auf Veränderungen reagiert habe – sei es bei der anfänglichen Sammlung der evangelischen Christen in einer bis dahin fast nur katholisch geprägten Region, beim Bau der Kirche, des Pfarrhauses und Gemeindesaales, des evangelischen Kindergartens, des Militärpfarrhauses und des „Hauses der offenen Tür“ oder sei es bei der Errichtung der Pfarrstelle II, also dem Aufbau einer evangelischen Gemeinde in Hardheim-Höpfingen. Er dankte den Walldürnern dafür, immer „das Miteinander mit der katholischen Schwesternkirche“ gesucht zu haben.

„Aktuell“, so Dekan Krauth, „ist die Familie der vielen Kirchengemeinden sehr angefochten und erschüttert.“ Das gelte für die evangelischen Kirchengemeinden ebenso wie für die katholischen. „Schreckliche Missbrauchsfälle, hohe Austrittszahlen, das Abbrechen vieler kirchlicher Traditionen, eine junge Generation, die mit Kirche und Glauben wenig anzufangen weiß – die Religion wird immer mehr an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, und die Christen werden zu einer Minderheit im Land“, beschrieb Krauth die aktuelle Lage. Für den Dekan sind dies – neben den Klimaveränderungen und dem Krieg in der Ukraine – „die stärksten Erschütterungen unseres momentanen Lebens“.

Krauth ist überzeugt, dass Geld nicht ausreiche, um die Kirche retten zu können: „Nein, es gilt vielmehr, auch weiterhin auf Jesus Christus zu vertrauen.“ Die Zukunft der Kirche garantieren, dies könne nur Gott allein. Die vielen Berater, Strategiegruppen, Pläne und Konzepte würden nichts helfen, „wenn der Glaube fehlt, wenn sich das Herz an falsche Dinge hängt, wenn die Begeisterung für Gott und seine Liebe nicht zu spüren ist“, betonte Dekan Krauth. An die evangelische Kirchengemeinde Walldürn appellierte er, sich den Glauben nicht kaputt machen zu lassen, sondern nach wie vor jeden Tag auf das Wort Gottes zu hören, Zeichen der Gegenwart Gottes zu setzen, indem ein jeder Gott lobe, die Nächstenliebe lebe und sich für die Schwachen einsetze.

Kirchengemeinderat Johannes Weller überbrachte dann die Glückwünsche der Kirchengemeinde Hardheim-Höpfingen, die von 1956 bis 1986 als Pfarrstelle II und somit als Filialstelle der evangelischen Kirchengemeinde Walldürn angehörte und quasi als „Patenkind“ aus ihr hervorging.

Vonseiten der Katholiken dankte Andrea Hemberger für die harmonische ökumenische Gemeinschaft, die bis heute festen Bestand habe. Im Bewusstsein, dass beide Kirchen in Walldürn stets offen seien für eine gute Zusammenarbeit, sehe sie den Weg für eine sehr gute Ökumene geebnet. Zur Erinnerung an diesen Jubiläumstag überreichte sie Pfarrer Karl Kreß eine Bibel von Sieger Köder, ehe sie ihre Grußansprache mit einem Zitat der Schweizer Lyrikerin Monika Minder beendete: „Wo wir Gemeinschaft und Individualität vereinen können, werden wir Liebe.“

Verena Kern, die synodale Vertreterin der evangelischen Kirchengemeinde Walldürn in der Bezirkssynode, verlas anschließend ein Grußwort von Landrat Dr. Achim Brötel: „75 Jahre sind wahrlich ein Grund zum Feiern, weil sie gerade am Beispiel dieser evangelischen Kirchengemeinde Walldürn im Kleinen sehr anschaulich zeigen, wie viel man bewegen kann, wenn Menschen zusammenstehen und sich gemeinsam auf den Weg machen, um ihre Zukunft erfolgreich zu gestalten.“ 75 Jahre nach ihrer Gründung präsentiere sich die evangelische Kirchengemeinde als absolut lebendige Gemeinschaft.

Laut Stadtrat Jürgen Mellinger prägt die Kirchengemeinde seit vielen Jahrzehnten das Leben in Walldürn entscheidend mit: dank engagierter Pfarrer und Mitarbeitern, die sich stets um alle Belange ihrer Mitglieder kümmerten: „eine zwar relativ kleine Kirchengemeinde – aber stets groß in ihren Aktivitäten; eine evangelische Kirchengemeinde, die in steter Ökumene mit der Seelsorgeeinheit Walldürn lebt, arbeitet und wirkt“.

Für Oberstleutnant Ulrich Arnold gehen 75 Jahre evangelische Kirchengemeinde Walldürn einher mit 64 Jahren Militärseelsorge in Walldürn. Diese besondere Verbindung sei er- und gewachsen – unterstützt von der evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung, die unter anderem beim Bau des „Hauses der offenen Tür“ und der zwei Wohnhäuser für den Heimleiter und für den evangelischen Militärpfarrer einen Beitrag leistete. „Die gesellschaftlichen Veränderungen in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind leider nicht spurlos sowohl an Gemeinde als auch an der Garnison vorübergegangen“, erklärte Arnold. Die Reduzierung des stationierten Truppenkörpers am Bundeswehrstandort Walldürn Anfang der 90er Jahre auf etwa die Hälfte habe die Anzahl der Soldaten, die zur evangelischen Kirchengemeinde Walldürn gehören, stark schrumpfen lassen. Dies führte schließlich sogar zum Verlust des bis dahin eigenständigen evangelischen Militärpfarramts in Walldürn. Schon vorher wurden das Soldatenfreizeitheim sowie die weiteren Räumlichkeiten um das „Haus der offenen Tür“ seitens der Militärseelsorge aufgegeben. „In dieser schwierigen Zeit des Umbruchs lagen dann noch die beginnenden und sich intensivierenden Auslandseinsätze der Bundeswehr“, erinnert sich der Oberstleutnant. Dieses Vakuum habe Pfarrer Karl Kreß jedoch mit Tatkraft, Frohsinn und Zuverlässigkeit gefüllt, betonte der Soldat. Bis zum Dienstantritt des evangelischen Militärpfarrers Schaber-Laudien in Hardheim und darüber hinaus sei Kreß ein stets verlässlicher Ansprechpartner gewesen und habe mit den Soldaten viele ökumenische Gottesdienste gefeiert.

Mit dem von Prälat Prof. Dr. Traugott Schächtele erteilten Schlusssegen endete der Jubiläumsgottesdienst. Ein Stehempfang im Außenbereich des Areals rund um das evangelische Gemeindehaus rundete die Feierlichkeiten ab.