Badisches Tagblatt Rastatt, 30.09.2023

 

Zuständige befürchten Integrationsgefährdung

Ralf Joachim Kraft

Caritas, Diakonie und Deutsches Rotes Kreuz protestieren in Rastatt gegen Regierungspläne bei der Migrationsberatung

Die Bundesregierung setzt im sozialen Bereich den Rotstift an. Unter anderem will sie in Zeiten der höchsten Zuwanderung die Mittel bei der Beratung von Migranten drastisch kürzen. Die geplanten Millionen-Einsparungen im Bundeshaushalt 2024 stoßen bei den Wohlfahrtsverbänden auf Kritik und Widerstand. Sie sehen ihre bewährte und erfolgreiche Integrationsarbeit in Gefahr und schlagen daher Alarm.

Mit einem „Aktionstag Migrationsberatung“ haben am Donnerstag die Caritas, die Diakonie und das Deutsche Rote Kreuz auf dem Rastatter Wochenmarkt auf ihre bedeutende Rolle im Integrationsprozess hingewiesen und gegen die Kürzungspläne der Bundesregierung protestiert. Auch auf den Wochenmärkten in Bühl und Gaggenau waren sie schon gemeinsam präsent.

An ihrem Stand in der Schlossstraße stellten Peter Rettig vom Jugendmigrationsdienst (JMD) des Caritasverbandes für den Landkreis Rastatt und die Migrationsberaterinnen Julia Kubisch (Caritas Rastatt) und Natalia Kikli (Diakonie Baden-Baden und Rastatt) ihre Arbeit vor. Vier Stunden lang standen sie bereit, um über ihre Angebote für Zugewanderte und Geflüchtete zu informieren.

Am Ende wussten immerhin rund 20 interessierte Passanten, warum die „ganzheitliche Beratung und Betreuung“ wichtig ist. Und zwar „für alle Zugewanderten“, wie Rettig betonte. Der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) und den Jugendmigrationsdiensten (JMD) drohen jedoch massive Kürzungen.

Auch die unabhängige Asylverfahrensberatung und die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten sind von den Kürzungsplänen betroffen.

Laut Rettig laufen die Programme „Respekt Coaches“ (Demokratieförderung und Extremismus-Prävention an Schulen) und „Garantiefonds Hochschule“ (Hochschulberatung für Zuwanderer) zum Jahresende aus. Das sei nicht nachzuvollziehen. Überhaupt seien die Entscheidungen in Zeiten des verstärkten Zuzugs von Geflüchteten und der gezielten Einwanderungspolitik für ausländische Fachkräfte völlig unverständlich, sagt Rettig.

Ein Abbau von Angeboten und Strukturen, die sich als wirksam und erfolgreich erwiesen hätten, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Denn gerade jetzt seien die Migrationsfachdienste der MBE und JMD als zentrale Bausteine der kommunalen Integrationsarbeit wichtiger denn je, warnt der JMD-Berater vor den Folgen für die Zugewanderten, deren Integration, die Dienste und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

„Ich befürchte, dass die Migranten künftig deutlich weniger Unterstützung erhalten werden und ihre Motivation stark darunter leidet. Die Spannungen nehmen zu. Es werden wohl auch mehr Personen obdachlos.“ Aktuell sei der Beratungsbedarf so hoch, „dass wir kaum nachkommen“, sagt Rettig. „Wir führen schon Wartelisten.“ Gleiches berichten die Migrationsberaterinnen.

„Mein Terminkalender ist voll“, verrät Natalia Kikli. „Ich habe eine 50-Prozent-Stelle, bin allein und frage mich, wie ich das künftig bewältigen soll.“ Julia Kubisch berichtet von derzeit etwa 600 Klienten – „und es werden immer mehr; allein wäre das gar nicht zu schaffen“. Die Arbeit teilt sie sich mit Natalia Burik. Sie selbst hat eine 60-, ihre Kollegin eine 50-Prozent-Stelle. „Integration wird auf jeden Fall schwieriger“, prophezeit Kubisch. „Vieles, worum wir uns kümmern, soll jetzt auf jene verteilt werden, die ohnehin überlastet sind.“

Susanne Detscher, Integrationsbeauftragte der Stadt Rastatt, kann das bestätigen. Die Leiterin des Kundenbereichs Integration und Gemeinwesenarbeit sieht viel zusätzliche Arbeit und Belastung auf die Kommunen und die Regeldienste zukommen. Wie den Besuchern am Stand mitgeteilt wird, unterstützt die vom Bund geförderte MBE erwachsene Migranten durch sozialpädagogische Beratung und Begleitung bei der sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration.

Ziel der Anlauf- und Beratungsstellen vor Ort sei es, die Männer und Frauen zu selbstständigem Handeln in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens zu befähigen. Die ebenfalls vom Bund geförderten JMD beraten und unterstützen Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund bei ihrer Integration in Deutschland – insbesondere beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf. Sie helfen ihnen, die Sprache zu erlernen, einen Ausbildungsplatz zu finden und sich einzuleben, sind Anlauf- und Vermittlungsstelle für Schulen, Betriebe, Ämter oder Integrationskursträger.