Stuttgarter Zeitung Stadtausgabe, 05.08.2023

 

Sozialverbände: Sparpläne sind paradox

Nach Meinung der freien Sozialverbände im Land streicht die Bundesregierung „ohne Plan und Struktur“ Sozialetats zusammen. Benedikt Reder

Vor dem Hintergrund des aktuellen Haushaltsentwurfs der Bundesregierung warnen die Sozialverbände im Land vor einer massiven Mittelkürzung im Sozialbereich. Wie der Sozialverband Liga-BW bei seiner Pressekonferenz am Freitag im Stuttgarter Landtag mitteilte, sei man „geschockt“, dass der Staat versuche, „am falschen Ende“ zu sparen.

Die Vorlage zum Haushalt 2024 nannte das Bündnis aus Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Paritätischem Wohlfahrtsverband, Deutschem Roten Kreuz, Diakonie und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland ein Paradoxon. So seien etwa Fachkräftemangel und Arbeitsmigration aus dem Ausland als Problem erkannt, gleichzeitig würden die Mittel für Integrations- und Sprachkurse im neuen Haushalt um 30 Prozent gekürzt. „Fallen unsere Beratungsstellen weg, werden die Arbeitgeber selbst versuchen müssen, diese Angebote zu leisten“, so Philipp Neurath vom Liga-Ausschuss Migration. Für kleinere und mittelständische Betriebe sei das jedoch nicht möglich.

Die Freiwilligendienste, die dem Personalmangel im Gesundheits- und Sozialsektor entgegenwirkten und durch die Fachkräfte in der Altenpflege oder den Rettungsdiensten gewonnen werden könnten, erhielten mit dem Haushaltsentwurf 23 Prozent oder 78 Millionen Euro weniger als zuvor.

Die stellvertretende Vorsitzende Beatrix Vogt-Wuchter erklärte, dass die Kürzungen auch mit Streichungen beim Personal einhergingen. Die Versorgungssicherheit Bedürftiger sei „massiv gefährdet“, steigende Armut wären die Folge, so Vogt-Wuchter vom Diakonischen Werk Baden .

Auch bei der geplanten Kindergrundsicherung will die Bundesregierung finanzielle Mittel einsparen. Heiner Heizmann von der Caritas Rottenburg-Stuttgart bemängelte, dass von den ursprünglich veranschlagten 12 Milliarden Euro im neuen Haushalt gerade noch zwei Milliarden übrig blieben. Seinen Angaben zufolge sind in Baden-Württemberg 355 000 und bundesweit mindestens 2,5 Millionen Kinder von Armut bedroht: „Jedes fünfte Kind in unseren reichen Ländle lebt unterhalb der Armutsgrenze.“

„Das sind einige wenige Beispiele“, so Liga-Vorstand Marco Groß, „wir kommen gar nicht hinterher, all die Kürzungen aufzuarbeiten.“ Der Bund gehe dabei nach dem „Prinzip Gießkanne“ vor, sagte der DRK-Landesgeschäftsführer. Gekürzt werde ohne Plan oder Struktur. Die soziale Sicherheit des Landes sei in Gefahr. Dass gespart werden müsse, wisse man, bemerkte Beatrix Vogt-Wuchter. Ihrer Meinung nach böten Sparmaßnahmen bei Subventionen sowie eine Vermögenssteuer Gelegenheit, Einsparungen im Sozialsektor abzuwenden.

An die Landespolitik gerichtet, stellte Marco Groß fest: „Es gibt ständig Wirtschaftsgipfel mit den großen Unternehmen in Baden-Württemberg.“ Dabei sei gerade die Wohlfahrtspflege „das Netz an Sicherheit, das diese Unternehmen benötigen, um handlungsfähig zu sein“. Er rief die Spitzen des Landes auf, der jahrelangen Forderung nach einem Sozialgipfel nachzukommen, um „einmal konzertiert die Zukunft der Daseinsvorsorge zu erläutern“.