Besser integriert durch Zwangsbeschäftigung?
Landkreistag fordert Arbeitspflicht für Flüchtlinge Anderswo sorgt Vorstoß aus Südwesten für Kritik VON STEFAN LANGE, POLITIK@SUEDKURIER.DEBerlin – Bei den Hauptamtlichen in Landkreisen, Städten und Gemeinden schrillen die Alarmglocken. „Deutschland ist derzeit Zielland für eine in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beispiellos hohe Zahl von Schutzsuchenden“, heißt es in einem Papier des Deutschen Landkreistages. 2022 wurden demnach 218 000 Asylerstanträge gestellt, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weitere 125 566. „Setzt sich diese Entwicklung fort, könnten es am Jahresende 400 000 und mehr Erstanträge sein.“ Hinzu kommen rund 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, schreibt der Landkreistag, der in dieser Situation nur einen Ausweg sieht: „Begrenzung und Steuerung der Fluchtmigration“. Der Landkreistag Baden-Württemberg hat vor diesem Hintergrund eine Forderung erhoben, die bundesweit für Aufsehen sorgt.
In einer einstimmig verabschiedeten Resolution fordern die baden-württembergischen Landräte „weitreichende Maßnahmen“ und zählen dazu „eine über die bisherigen Regelungen und Umsetzungsformate hinausgehende Verpflichtung Schutzsuchender zur Annahme von auch gemeinnütziger Arbeit“. Mit anderen Worten: Wer ins Land kommt und staatliche Leistungen bezieht, soll dafür arbeiten.
In der Politik stieß das teilweise auf Zustimmung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der „Bild“-Zeitung, er wolle Zahlungen an eine „Mitwirkungspflicht“ knüpfen. „Ein Angebot zur Arbeit muss dabei Teil der Integrationsleistung sein. Wenn dieses Angebot nicht angenommen wird, muss es Leistungskürzungen geben“, erklärte er. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Stephan Thomae sagte der Zeitung, Migration müsse so geordnet und gesteuert werden, „dass es keine Einwanderung in die Sozialsysteme, sondern in den deutschen Arbeitsmarkt gibt“.
Caritas und Diakonie in Baden-Württemberg wiesen den Vorstoß in einer gemeinsamen Erklärung zurück, da er „am eigentlichen Problem vorbeigehe: Statt immer neue Beschränkungen und Verpflichtungen zu fordern, müssten die bestehenden Hürden abgebaut werden, damit Geflüchtete eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen können“. Demnach fehlt es beispielsweise an Angeboten für Sprachkurse. So habe, erklären die beiden Organisationen, derzeit nicht einmal jede zweite aus der Ukraine geflüchtete Person einen Sprachkurs angeboten bekommen. Und: Anerkennungsverfahren für berufliche Abschlüsse selbst in Mangelberufen dauerten mindestens ein Jahr, eher länger.
Auf diese beiden Punkte wird auch in Regierungskreisen in Berlin verwiesen, wenn es um die Frage nach einer Arbeitspflicht für Geflüchtete geht. Offiziell halten sich die Ministerien bedeckt. Deutlich wird aber, dass eine Arbeitspflicht nur um der reinen Beschäftigung wegen als nicht zielführend empfunden wird. Die Bundesregierung hat noch einen weiteren Punkt: Wenn besonders qualifizierte Flüchtlinge, Ärztinnen und Ingenieure beispielsweise, zu einfachen Arbeiten herangezogen werden, stehen sie dem Arbeitsmarkt als Fachkraft nicht zur Verfügung.
Caritas und Diakonie wissen aus ihrer täglichen Arbeit, dass viele der Schutzsuchenden „schnell selbstständig werden und arbeiten“ wollen. „Diese nun zur Arbeit zu verpflichten, gehe an der Realität vorbei und ignoriere das eigentliche Problem“, erklären die beiden Organisationen.
In der Tat ist die Arbeitspflicht nur ein Randaspekt in dem Forderungskatalog der Landkreise. Sie wollen vor allem mehr Geld vom Bund, etwa durch eine „auf Dauer angelegte Übernahme der flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft“. Sowie zusätzlich eine „spürbare Begrenzung“ des Zuzugs von Asylsuchenden. Umgesetzt werden soll das durch die Einrichtung sogenannter Transitzentren, der „gerechteren europaweiten Verteilung“ von Ukraine-Flüchtlingen, aber auch durch „bauliche Grenzanlagen“, etwa an der bulgarischen Grenze.
„Ein Angebot zur Arbeit muss Teil der Integrationsleistung sein. Wenn dieses Angebot nicht angenommen wird, muss es Leistungskürzungen geben.“ Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef
Das lesen Sie zusätzlich online:
Recht auf Asyl einschränken? Thorsten Frei legt mit seinem Vorschlag den Finger in die Wunde: www.sk.de/11651922