Badische Zeitung Freiburg im Breisgau, 01.06.2023

 

Struktur gibt Langzeitarbeitslosen Halt

In Kirchzarten arbeiten Langzeitarbeitslose in einem Atelier der Diakonie. Das Angebot für einen strukturierten Alltag finden sie gut, Symbolpolitik hingegen nicht.

Kirchzarten. Beim gemeinsamen Frühstück im Atelier für Langzeitarbeitslose ist man sich einig: „Hartzer bleibt Hartzer.“ Dass die Ämter nun von Bürgergeld sprechen und die Betroffenen beim Jobcenter Kunden genannt werden, sorgt für allgemeinen Unmut. „Ich wünsche mir Ehrlichkeit von der Politik“, sagt einer der Anwesenden. Die anderen reagieren mit verhaltenen Schnauben. Er meine es ernst, sagt der Mann am Kopfende des Tisches. Ihn stört, dass Langzeitarbeitslose wie er nicht in Statistiken auftauchen. Wer an einer Maßnahme teilnimmt, gilt nicht mehr als arbeitslos.

Die Männer im Atelier für Langzeitarbeitslose wollen in der Zeitung nicht namentlich genannt werden. Sie sorgen sich unter anderem, Vorurteilen ausgesetzt zu werden. Diese verfestigen sich, ihrer Meinung nach, beispielsweise durch das umgangssprachlich genannte „Hartz 4-Fernsehen“. Das sind Sendungen, die unter anderem den Alltag von Arbeitslosen zur Unterhaltung im Nachmittagsfernsehen darstellen. Mit ihrer Realität habe das nichts zu tun – da ist sich die Gruppe einig.


„Die Leute sind aus ganz unterschiedlichen Gründen hier“, sagt Benjamin Hemberger. Er ist Leiter der Werkstatt in Kirchzarten und arbeitet täglich mit den zwölf Teilnehmern zusammen. Sie alle sind schon seit mehreren Jahren arbeitslos. Die Werkstatt sei oft der letzte Versuch des Jobcenters. Das Ziel: Abbau von Vermittlungshemmnissen und die Beschäftigungsfähigkeit erhalten oder wiederherstellen. Ein halbes Jahr ist dafür angesetzt. Bis zu drei Jahre können die Teilnehmer in Ausnahmefällen bleiben. Doch so einfach ist es nicht. „Wir sind ja keine Wundertüte“, sagt Stefanie Aatz. Die Pädagogin ist bei der Diakonie angestellt und für das Atelier verantwortlich. Die Männer und Frauen, die sie betreut, seien vor allem aus gesundheitlichen Gründen in die Erwerbslosigkeit gerutscht. Ein Bandscheibenvorfall macht die Arbeit als Handwerker unmöglich, eine Depression die Arbeit im 40-Stunden-Job. „Pauschal kann man nicht sagen, warum die Leute hier sind“, sagt Aatz.


Sie betont: Vor allem durch die fehlende Struktur im Alltag eines Arbeitslosen wird der Wiedereinstieg erschwert. Auch soziale Anker gingen durch die finanziellen Einschränkungen verloren. „Man kann ja nicht mal mehr mit seinen Freunden ins Kino gehen“, schildert einer der Anwesenden die Situation. Durch die Arbeit im Atelier in Kirchzarten sollen die Teilnehmer wieder mehr Struktur in ihr Leben bringen. Hier erwerben sie neue handwerkliche Fähigkeiten. Sie arbeiten an Sägen, schleifen oder schnitzen Holz und können ihr neues Wissen gleich sinnvoll einsetzen. „Diese Treppe habe ich gebaut“, sagt einer der Männer und zeigt auf eine Verbindungstür und den Höhenunterschieden zwischen den zwei Räumen. Vorher habe hier nur eine wacklige Kiste gestanden. In der Gemeinschaft erleben die Teilnehmer auch gegenseitigen Zuspruch. Vor allem eine große selbst geschnitzte Libelle ist beim Frühstück Thema. „Ich hätte nicht gedacht, dass du vorher noch nie handwerklich gearbeitet hast“, lobt einer seinen Kollegen. Damit die Teilnehmer erleben, wie wertvoll ihre Arbeit sein kann, versucht die Diakonie regelmäßig einen Marktstand in der Region aufzubauen. Das Atelier für Arbeit wird von der Diakonie betrieben und vom Jobcenter gefördert. Die Einnahmen aus den Marktständen fließen in die Materialkosten.


Auf dem Markt werden Salatbesteck oder Kinderspielzeug aus Holz verkauft. „Wir arbeiten hier aber nicht im Akkord“, stellt Hemberger klar. Das würde die meisten Werkstattbesucher auch überfordern. Mit Druck komme man nicht weit, die Menschen hätten noch andere Probleme, die sie beschäftigen.


Das mache unter anderem auch den Wiedereinstieg so schwer. Der Fachkräftemangel sei für Langzeitarbeitslose zudem eher Nachteil als Vorteil. „Es herrscht mehr Druck, der Chef steht mehr unter Druck und muss ihn an die Mitarbeiter weitergeben“, sagt einer der Männer. Ein langsames Einarbeiten und flexible Arbeitszeiten seien da eher unrealistisch. „Außerdem veraltet ja auch das Wissen“, weiß einer der älteren Teilnehmer aus Erfahrung. Dann wieder als Fachkraft einzusteigen sei schwer.
„Jeder neue Anlauf kostet viel Energie“, sagt Aatz. Selbst wenn die Teilnehmer nach der Zeit im Atelier in einen neuen Job starten, komme es oft vor, dass der Versuch nicht gelingt. Manche halten beispielsweise dem Druck nicht stand oder haben zu viele Fehlzeiten für den Arbeitsalltag. „Was nicht heißt, das es keine Erfolge gibt“, betont Aatz.


Ihr sei es jedoch wichtig, ein ehrliches Bild zu vermitteln. Dazu gehöre auch, dass die Stimmung in der Werkstatt manchmal angespannt ist. Besonders das Thema Wohnen bewegt die Gemüter aktuell. Der Mietvertrag muss vor dem Abschluss dem Jobcenter vorgelegt werden. Wenn der richtige Mitarbeiter abwesend oder der Vermieter zu ungeduldig ist, geht die Wohnung an den nächsten Interessenten – so die Erfahrung in der Vergangenheit. Einer der Männer vergleicht das Verfahren mit dem Gang zu Mutti und um Erlaubnis zu fragen. Außerdem fehle Langzeitarbeitslosen Unterstützung, von der Studierende oder Geflüchtete profitieren. Und wenn man eine Wohnung bekommt, gäbe es da immer noch das Problem mit dem Nahverkehr. Viele Orte im Dreisamtal sind nicht optimal angebunden. Das erschwert den Weg zu einer potenziellen Arbeitsstelle zusätzlich.


Doch bei allen Problemen finden die Teilnehmer am Frühstückstisch nicht nur kritische Worte. Sie erleben die Struktur durch den Alltag in der Werkstatt positiv. „Hier kann man sich auch über seine Probleme austauschen“, sagt einer der Anwesenden.
Im Austausch fällt zudem auf, dass es den stereotypischen „Hartzer“ nicht gibt. „Die Teilnehmer kommen das erste Mal und sagen: Ich bin nicht so wie die, ich bin anders“, berichtet Aatz von den Kennelerngesprächen mit den Teilnehmern. Einmal in der Gruppe angekommen, verlieren sie die Vorurteile und sind sich beim Frühstück einig: „Der Stempel hat sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt“, doch jeder habe seine eigenen Probleme. Werkstattleiter Hambacher sagt dazu: „Ich merke, dass die Leute arbeiten wollen.“


Die Diakonie sucht einen Ehrenamtlichen, der die Teilnehmer auf dem Markt unterstützt. Auch ein Laden, der die Gegenstände anbieten möchte, kann sich melden: benjamin.hemberger@diakonie.ekiba.de