Badisches Tagblatt Baden-Baden, 27.04.2023

 

Die Wände sind nicht mehr wüst und leer

Rund zehn Jahre hat die Schöpfung gedauert / Von Rückschlägen blieb die Genesis in Karlsruhe nicht verschont – ist jetzt alles gut?

Von Wolfgang Voigt

Karlsruhe – Vor ein paar Wochen pries die Frankfurter Allgemeine in ihrem Feuilleton die lichtdurchfluteten Haltepunkte der Karlsruher Untergrundbahn und die dortige Aufenthaltsqualität in den höchsten Tönen.

Mit der nahenden Enthüllung sämtlicher „Genesis“-Reliefs an den sieben unterirdischen Stationen müssten die Superlative nun erst recht ins Kraut schießen. Der 14-fache Zyklus, gestaltet von Künstlerfürst Markus Lüpertz, wird von seinen Promotoren und Förderern als die ultimative Attraktion der Kulturstadt Karlsruhe gefeiert.

Am Donnerstagabend ist es so weit. Zwei Tage nach seinem 82. Geburtstag steht Lüpertz dann Seit‘ an Seit‘ mit dem Spiritus Rektor des Projekts, Anton Goll, in der Bahn-Unterwelt am Marktplatz und schreitet zur symbolischen Enthüllung. Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) – so viel darf als sicher gelten – wird sich begeistert äußern, die evangelische Landesbischöfin Heike Springhart wird das Thema der Genesis wohl theologisch ausleuchten, und der Autor und Lüpertz-Kenner Heinrich Heil wird den Zyklus in das Lebenswerk des Künstlers einordnen. Doch noch ist die großflächige Kunst am Bau mit diskreten Planen an Kabelbindern verhüllt.

Die mitternächtliche Vernissage ist gewissermaßen der Schlussstein an einem Mammut-Vorhaben, das vor zehn Jahren startete und länger als erwartet auf Licht am Ende des Tunnels warten musste. 2013 hatte Anton Goll, einst Geschäftsführer der Majolika-Manufaktur, die technischen Möglichkeiten für Kultur an der Kombilösung sondiert. Alsdann begeisterte er OB Mentrup für seine Sache.

Bei einer Diskussionsrunde anlässlich des 300. Stadtgeburtstags 2015 kam das Vorhaben in Fahrt: Markus Lüpertz versicherte dem Oberbürgermeister öffentlich, er werde ein Kunstwerk schaffen. Als Verneigung vor seiner Wahlheimat Karlsruhe. Und vielleicht auch, um im Herbst des Lebens das eigene künstlerische Oeuvre zu runden.

Dass das zunächst eher leger verabredete fragile Projekt tatsächlich vollendet werden konnte, war nicht in Stein gemeißelt. Fährnisse stellten sich ein. Zunächst wirtschaftliche: Da sich die Stadt finanziell nicht beteiligte, musste die Grundfinanzierung von mehr als 600.000 Euro über Spenden sichergestellt werden. Darüber hinaus: Nur für sieben Jahre können die schweren Keramikplatten zunächst an Ort und Stelle bleiben – als Leihgabe. So will es der Verein „Karlsruhe Kunst erfahren“.

Was danach damit passiert, ist offen. Im äußersten Fall – falls es keine Einigung mit der Stadt geben sollte – werden sie demontiert und verlassen eventuell gar Karlsruhe. In schwieriges Fahrwasser kam das gesamte Vorhaben aber auch aus politischen Gründen. So kritisierte der inzwischen verstorbene ZKM-Chef Peter Weibel die seiner Meinung nach fehlende demokratische Legitimierung des Vorhabens.

Und auch das Thema der Genesis war nicht jedem recht. Ausgerechnet etwas Biblisches. Als die Arbeiten schließlich von der Majolika nach Zell am Harmersbach verlagert werden mussten, rechnete mancher schon mit einem unrühmlichen Ende der Sache. Doch weit gefehlt. Jetzt hängen 20 Tonnen gestalteter Ton an den Wänden. Schon sehen die städtischen Touristiker vor ihrem geistigen Auge Legionen internationaler Kulturjournalisten anreisen und euphorische Worte über die 14 plastischen Werke von jeweils zwei mal vier Metern Größe in der ganzen Welt verbreiten.

Zur Enthüllung am Donnerstag will selbst das ZDF in seiner „heute“-Sendung berichten. Anton Goll, die graue Genesis-Eminenz, spricht vom „Höhepunkt einer langen Odyssee“. Dass nicht alle politischen Entscheidungsträger und Karlsruher Bürger die Genesis mit ähnlicher Begeisterung wie er selbst betrachten, kann er bis heute nicht verstehen. Die Arbeit von Lüpertz preist er als Kunst von Weltrang.

Plastische Werke des 1941 in Böhmen geborenen und sich gern als Malerfürst inszenierenden Künstlers sind bereits im öffentlichen Raum von Karlsruhe anzutreffen. Auf dem Kronenplatz thront seit 1997 im dortigen Narrenbrunnen sein Harlekin, eine lebensgroße und halb-abstrakte Bronzeplastik. Das Ensemble „Sonne und Mond“ findet sich aktuell auf dem Skulpturen-Boulevard nahe ZKM und Städtischer Galerie. Auf hohen Stelen thronen dort die Personifikationen des Erdtrabanten und des Licht spendenden Sterns. Ehedem stand die Arbeit in der Nähe des Badischen Staatstheaters.

An der Bannwaldbrücke findet sich die Lüpertz-Plastik „Die Hässliche erschrickt die Schöne“ – ein Skulpturenduo, das die dortigen Tramgleise flankiert. Bildwerke des Künstlers sind unter anderem in den Beständen der Städtischen Galerie und der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.

Am Donnerstagabend sind alle Anstrengungen und Aufregungen vergessen. Die Bahnen fahren ab dann nicht mehr an verhüllten Wänden vorbei. Sondern an der Genesis.