BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN - Brettener Nachrichten, 28.04.2023

 

Silberstreif am Horizont

Irmeli Thienes

Die Untersuchungskommission hat Klartext gesprochen

Hundertfach missbraucht, hundertfach verschleiert, doch ihre Zahlen sind nur „exemplarisch“, so die Untersuchungskommission. Ihr Bericht erschüttert, auch in Bretten. Doch Dank sei ihrem Klartext. Er bringt einen Silberstreif am Horizont der Katholischen Kirche, diese kaum mehr als moralische Instanz zu bezeichnende Institution.

Endlich zeigt ein Gremium Emotionen. Endlich spürt man, dass die Opfer und ihre Familien ernst genommen werden. Endlich sieht man ungläubige Fassungslosigkeit und Wut, endlich menschliche Regung für unmenschliche Taten. Ob sie nachhaltig Wirkung zeigen wird, steht allerdings aus.

Eugen Endress, Richter in Rente, zeigte bei der Vorstellung des Kommissionsergebnisses, wie schwer Männer-Allianzen und ihre „bewusste Ignoranz“ entgleisen können. Endress nennt das Beispiel eines Priesters, der wegen einvernehmlicher, sexueller Beziehungen zu erwachsenen Frauen kirchenrechtlich verfolgt wurde. Das macht fassungslos angesichts exemplarischer 540 Missbrauchsfälle an Minderjährigen, bei denen von rund 250 mutmaßlichen Tätern viele bislang nicht verfolgt wurden.

Mit dem Bericht rückt der Missbrauch näher, auch nach Bretten. Die Katholiken versichern, vor Ort sehe alles anders aus. Sie leben „doch ein gutes Miteinander“. Doch 540 Fälle stammen nicht alle direkt aus Freiburg.

Wieso bleiben sie in dieser Kirche, die Täter versetzt, statt gegen sie zu ermitteln? Wo sich Kirche und Rechtsstaat so lange kollusiv die Hand reichten, wie Juristen das nennen: im bösen Miteinander. Viele vertrauen auf das Gute, das noch in der Kirche ist. Wie gut, dass der heutige Erzbischof, Stephan Burger, Offizial war, ein Kirchenrechtler. Er geht es anders an und stärkt die Zuversicht. Zuständigkeitsteilung nennt Burger diplomatisch, was in Demokratien als Gewaltenteilung ein altes Instrument gegenseitiger Kontrolle ist. In den Gemeinden wird jedenfalls geschult und sensibilisiert und man „beleuchtet jeden Winkel“ – viele Augen sehen mehr. Tätig zu werden macht Hoffnung, stärkt Vertrauen. Und ohne beides gibt es ohnehin weder Glaube noch Kirche. Doch noch ist es nur ein Anfang, ein klitzekleiner Silberstreif in einer sehr dunklen Kirche.