Südkurier Konstanz, 27.04.2023

 

Sie hoffen auf Zukunft in Deutschland

Zwei junge Afrikanerinnen auf der Reichenau Freiwilliges Soziales Jahr in Kirchengemeinde Sowohl die Arbeit als auch das Land gefällt ihnen gut

VON THOMAS ZOCH KONSTANZ.REDAKTION@SUEDKURIER.DE

Reichenau – Das oft nasskalte Wetter in den vergangenen Wochen und Monaten ist schon noch gewöhnungsbedürftig für Pitsim Pato und Joey Kisting. Das ist wenig überraschend, denn die beiden jungen Frauen kommen aus Schwarzafrika, aus Togo beziehungsweise Namibia. Und beide sind erst gut sechs Monate in Deutschland, absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Evangelischen Kirchengemeinde auf der Insel Reichenau.

In ihren Heimatländern sei es schon viel wärmer, berichten die beiden jungen Frauen lächelnd. Aber Deutschland und die Arbeit hier gefallen ihnen gut, sagen sie. Und beide würden gern im Anschluss an ihr FSJ eine Ausbildung in Deutschland machen – die 25-jährige Pitsim Pato aus Togo als Kinderkrankenpflegerin oder etwas ähnliches, wie sie sagt. Die 20-jährige Joey Kisting aus Namibia strebt eine Ausbildung als Erzieherin an – Berufe also, bei denen es auf dem deutschen Arbeitsmarkt großen Bedarf gibt.

Bereicherung für die Gemeinde

Doch nicht nur die beiden jungen Afrikanerinnen profitieren von ihrem Engagement, indem sie etwas über Land und Leute und fürs Leben lernen. Pfarrerin Sabine Wendlandt betont: „Für unsere Gemeinde ist das echt eine Bereicherung.“ Sie nennt als Beispiel den Gottesdienst am Palmsonntag, an dem Pitsim und Joey mitwirkten. Ein Besucher habe hinterher gesagt: „Das war jetzt so schön mit diesen jungen Frauen.“ Es sei ums Thema Fasten gegangen, berichtet die Pfarrerin. Und Pitsim habe dazu eigene Gedanken vorgetragen: Dass einem dabei bewusst werden könne, dass man etwas zu essen hat, was andere nicht haben, und dass man es teilen könne. „Darauf wären andere, Leute aus Europa vielleicht nicht gekommen. Das fand ich gut“, erklärt Pfarrerin Wendlandt. Wobei Pitsim auf Nachfrage lachend sagt, sie faste selbst gar nicht.

Hauptsächlich sind die beiden jungen Frauen bei ihrer Arbeit in der Kinderkrippe der evangelischen Kirche tätig. Sie helfen bei der Betreuung, spielen und singen mit den Kleinen, lesen vor, waschen ihnen die Hände und putzen die Nase oder wickeln sie. Zudem sind sie bei der Kindergruppe Kids Club freitagnachmittags dabei und wirkten beim Konfirmanden-Unterricht mit.

Der Weg nach Deutschland war für die beiden jungen Afrikanerinnen dabei ganz unterschiedlich. Pitsim Pato berichtet, sie habe im Gymnasium in Togo zwischen Deutsch und Spanisch als Fremdsprache wählen können und sich für Deutsch entschieden. Die ersten Worte des Lehrers seien „Guten Tag“ gewesen. „Das hat mir sehr gut gefallen.“ Und der Lehrer habe viel über Deutschland erzählt, so habe sie Lust bekommen, das Land einmal zu bereisen. Zunächst habe sie sich dann aber für ein Studium der Germanistik entschieden. Und nach ihrem erfolgreichen Bachelorabschluss habe sie glücklicherweise ein Stipendium erhalten und fünf Monate als Austauschstudentin in Paderborn leben können. Leider sei dies aber in der Corona-Zeit gewesen. „Ich hatte nicht die Gelegenheit, Deutschland zu entdecken“, sagt sie. Deshalb habe sie das nachholen wollen. Denn zurück in ihrer Heimat habe sie festgestellt: „Der Schnee hat mir in Togo gefehlt“, wie sie lächelnd erklärt. Sie habe deshalb im Internet nach der Möglichkeit eines FSJ in Deutschland gesucht.

Bei Joey Kisting war ihre Reise nach Deutschland dagegen eher Zufall – und das lag daran, weil sie seit ihrem zehnten Lebensjahr Posaune spiele, wie sie berichtet. „Ich habe keine Idee gehabt von Deutschland“, sagt die 20-Jährige – obwohl in Namibia Deutsche leben und dort Urlaub machen. Das Land im Süden Afrikas war zu Zeiten des deutschen Kaiserreichs dessen Kolonie und hat darunter gelitten.

Damit befasst sich der Pfarrer im Ruhestand Karlfrieder Walz, der in Maulburg im Markgräfler Land lebt. Er sei fast zehn Jahre in deutsch-englischen Gemeinden im Süden Afrikas tätig gewesen, so Pfarrer Walz. Im Jahr 2019 hatte er dann mitorganisiert, dass ein Posaunenchor aus Namibia Gemeinden im Markgräfler Land besuchen konnte – mit dabei war auch Joey Kisting. Danach habe sie gedacht, dass ihr künftiges Leben in Deutschland sein könnte, erklärt sie. Und während des FSJ, das bis März 2024 dauert, besuche sie noch den Deutschunterricht in der Sprachschule Konstanz. In der Stadt wirke sie auch mittlerweile beim dortigen Posaunenchor mit. Dieser gestaltete am 19. März zusammen mit einem Posaunenchor aus dem Markgräflerland auch einen Gottesdienst in der Heilig-Geist-Kirche auf der Reichenau mit. Pfarrerin Wendlandt meint lachend: „So viele Posaunen hatten wir hier noch nie.“

Die Fasnacht beeindruckt

Die Eindrücke der beiden jungen Afrikanerinnen von Deutschland und der Reichenau sind bisher positiv, wie sie berichten. Deshalb würden sie gern weiter hier leben. „Im Gegensatz zu Togo ist Deutschland ein sehr großes und entwickeltes Land“, meint Pitsim Pato. Und: „Ich habe noch nie auf einer Insel gelebt.“ Sie habe es auch schön gefunden, wie man sich an der Fasnacht verkleide. Joey Kisting erklärt: „Ich denke, Deutschland ist besser als mein Heimatland.“ Das meine sie bezogen auf die Politiker und das Thema Korruption. „Mein Heimatland ist sehr korrupt. Ich finde es in Deutschland schöner – und cool.“ Ihre Familien würden es gut finden, dass sie in Deutschland bleiben möchten, erklären beide. Wobei Pitsim Pato anfügt: „Ich bin erwachsen und mache, was ich will.“ Während Joey Kisting erklärt: „Meine Oma fragt immer: Wann kommst du zurück?“



„Ich finde es spannend, wenn Leute aus anderen Ländern kommen, etwas zu erfahren über die Menschen und die Kultur. Ich finde das gut und bereichernd.“

Sabine Wendlandt, Pfarrerin

„Mein Heimatland ist sehr korrupt. Ich finde es in Deutschland schöner – und cool. Meine Oma fragt immer: Wann kommst du zurück?“

Joey Kisting, Praktikantin aus Namibia

„Im Gegensatz zu Togo ist Deutschland ein sehr großes und entwickeltes Land. Ich habe noch nie auf einer Insel gelebt.“

Pitsim Pato, Praktikantin aus Togo

Das FSJ-Projekt

Das Freiwillige Soziale Jahr für Menschen aus unterschiedlichen Ländern ist ein Projekt namens FSJ-Incomer (zu Deutsch: Ankömmling) des Diakonischen Werks der evangelischen Landeskirche. Die Reichenauer Heilig-Geist-Gemeinde macht dabei seit 2018 mit und hatte bisher drei junge Männer aus Indonesien als FSJler und nun die beiden jungen Afrikanerinnen aus Togo und Namibia. Im Oktober 2023 soll eine weitere junge Frau aus der Elfenbeinküste kommen, so Pfarrerin Sabine Wendlandt. „Ich finde es spannend, wenn Leute aus anderen Ländern kommen, etwas zu erfahren über die Menschen und die Kultur. Ich finde das gut und bereichernd.“ Die jungen Menschen aus aller Herren Länder könnten etwas lernen, und auch der Gemeinde gebe das viel. „Unterm Strich ist es eine tolle Erfahrung“, sagt die Pfarrerin. (toz)