Das Gutachten soll nur der Anfang sein
Dieter KlinkKarlsruhe/Freiburg. Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen erschüttert seit über zehn Jahren die katholische Kirche. Am 18. April soll im Südwesten für Aufklärung gesorgt werden. In Freiburg wird dann der lange erwartete Bericht des Erzbistums zum Umgang mit sexuellem Missbrauch veröffentlicht. Warum wird der Bericht erstellt und was ist davon zu erwarten? Fragen und Antworten zum Thema.
Um was geht es in dem Gutachten? Um sexuellen Missbrauch durch Geistliche im Erzbistum Freiburg. Der Abschlussbericht soll Fälle aufarbeiten, Verantwortliche benennen und Handlungsempfehlungen aufzeigen. Nachdem eine bundesweite Studie, die sogenannte MHG-Studie, 2018 das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche aufgearbeitet hat, gaben einzelne Bistümer ergänzend eigene Studien in Auftrag, so auch Freiburg 2019.
Was steht bisher fest? Forschungen haben ergeben, dass von 1946 bis 2015 im Erzbistum insgesamt 190 Beschuldigte entdeckt wurden, die meisten von ihnen Priester, sowie mindestens 442 Betroffene. An Opfer des Missbrauchs zahlte das Erzbistum bisher rund 3,1 Millionen Euro. Zusätzlich erhalten 40 Menschen, die aufgrund des Missbrauchs in einer prekären Lage leben, Zuwendungen von zusammen über 200.000 Euro im Jahr.
Wer erstellt den Bericht? Die sogenannte Arbeitsgruppe (AG) Aktenanalyse, das sind vier externe, pensionierte Fachleute aus Justiz und Kriminalpolizei. Ihr Auftrag war es, „besonders markante Missbrauchsfälle der Erzdiözese Freiburg zu analysieren“. Dazu werteten sie Personalakten aus und befragten Zeugen, Betroffene und Beschuldigte. Die AG begann ihre Arbeit im Frühjahr 2019.
Was wird von dem Bericht erwartet? Freiburgs Generalvikar Christoph Neubrand sagt: „Ich hoffe, dass der Bericht Klarheit bringt, welche Strukturen Missbrauch in der Vergangenheit begünstigten und Vertuschung ermöglichten.“ Die Bistumsleitung werde auf Basis des Berichts Konsequenzen ziehen, „ohne Rücksicht auf Person und Amt“, so Neubrand.
Was erwarten die Betroffenen? Der Betroffenenbeirat in der Erzdiözese hofft, dass nicht nur die richtigen Konsequenzen gezogen werden, sondern dass dies auch zügig geschieht. Wichtig ist dem Betroffenenbeirat: „Wer Täter geschützt hat und Verbrechen mitverschuldet hat, muss entsprechende Sanktionen erfahren.“
Was sagen die Bistumsverantwortlichen? Sie wünschen sich Klarheit über die Vergangenheit und Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Im Vorfeld dämpfte die Bistumsleitung aber auch die Erwartungen. In dem Bericht sollen 24 Missbrauchsfälle aufgearbeitet werden. Der Bericht wird aber zu großen Teilen anonymisiert sein. Wie es heißt, geht es nicht um Details der Vergehen einzelner Priester, sondern um die Verantwortung und das eventuelle Versagen der Diözesanleitung. Die Namen der jeweiligen Diözesanverantwortlichen werden in dem Bericht genannt werden.
Was ist für den 18. April geplant? Das Gutachten soll in einer Pressekonferenz in der Katholischen Akademie vorgestellt werden. Den Bericht werden Vertreter der AG Aktenanalyse sowie der Kommission zur Aufklärung sexuellen Missbrauchs, deren Vorsitzender der Theologe Magnus Streit ist, erläutern. Außerdem will sich Erzbischof Stephan Burger zu dem Bericht äußern. Der Bericht wird zudem ins Internet gestellt.
Ist das Gutachten eine Freiburger Besonderheit? Nein, auch in anderen Bistümern gab es schon ähnliche Gutachten, zum Beispiel in München und Köln. Zuletzt wurden Berichte in Essen und Mainz für die jeweiligen Bistümer vorgestellt.
Was ist noch geplant? Das Erzbistum will zur Veröffentlichung der Studie eine kostenlose Telefonhotline einrichten. Dort können sich ab dem 18. April Betroffene und andere Menschen auch anonym melden, die im Zusammenhang mit der Studie Gesprächsbedarf haben. Die Hotline ist erreichbar vom 18. bis 28. April vormittags von 10 bis 13 Uhr und nachmittags von 15 bis 21 Uhr, ab Mai dann von 15 bis 21 Uhr. Telefon (08 00) 6 80 04 00
Liegt die für 18. April angesetzte Veröffentlichung des Freiburger Berichts noch im Zeitplan? Nein, der Bericht ist mehrfach verschoben worden. Grund dafür war anfangs die Corona-Pandemie, die die Berichtsautoren nicht vorankommen ließ. Zuletzt war die Veröffentlichung für Oktober 2022 vorgesehen, dann wurde sie auf April 2023 verschoben. Es hieß damals, es seien noch rechtliche Absicherungen nötig beim Datenschutz sowie Persönlichkeits- und Presserecht.
Womit hat das zu tun? Es geht in erster Linie um die Rolle des früheren Erzbischofs und Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Er leitete die Diözese von 2003 bis 2014 und war zuvor 20 Jahre lang Personalchef. Das Erzbistum wollte mit der weiteren juristischen Prüfung sicherstellen, dass Zollitsch, dem Vertuschungsvorwürfe gemacht werden, nicht juristisch gegen das Gutachten vorgehen kann.
Was sagt Zollitsch zu den Vorwürfen?
Der frühere Erzbischof hat im Oktober 2022 in einem Video schwerwiegende Fehler und persönliche Schuld eingeräumt. „Ich habe mit meinem damaligen Verhalten und Handeln, Dokumentieren und Entscheiden gravierende Fehler gemacht und die Gefahr – auch von erneutem Missbrauch – verkannt“, gesteht er in dem Video. Er bat Betroffene des Missbrauchs um Verzeihung. Gleichwohl habe er nie alleine gehandelt, sondern sich mit seinen Mitarbeitern beraten. Er sei eingebunden gewesen in ein System, das „von einer Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes geprägt war“.
Welche Rolle spielt Erzbischof Stephan Burger?
Er versichert, ihm sei die Aufarbeitung sehr wichtig. „Die Wahrheit muss auf den Tisch, Aufklärung hat oberste Priorität“, beteuert er immer wieder. Burger trägt seit Herbst 2022 auch bundesweit Verantwortung bei dem Thema. Er ist jetzt stellvertretender Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche. Nun muss er abwarten, ob der Freiburger Bericht ihm Fehlverhalten auf Leitungsebene vorwirft.
Was ist Burger wichtig?
Er sieht den Bericht nicht als Ende eines Prozesses, sondern als einen Startpunkt für Veränderung. Gegenüber unserer Redaktion sagt er: „Ich habe seit meiner Ernennung zum Erzbischof viele Gespräche mit Betroffenen führen dürfen und tue dies auch weiterhin. Dabei habe ich für mich nochmals deutlich gelernt, wie viel Leid sexualisierte Gewalt in einem Menschenleben anrichtet, wie Leben auch zerstört werden. Für mich ist Missbrauch eine Pervertierung des Evangeliums. Gerade deshalb ist die Veröffentlichung des Berichts für mich auch kein abschließender Punkt im Bereich Aufarbeitung, sondern ein Doppelpunkt.“ Was das für ihn heißt? „Wir werden klare Konsequenzen ziehen mit Blick auf Verantwortung. Außerdem werden wir auf der Grundlage des Berichts weiter unsere Strukturen überprüfen und verbessern, um sexualisierte Gewalt so weit wie möglich zu verhindern, um Kirche weiter zu einem sicheren Raum für alle zu machen“, so Burger gegenüber unserer Redaktion.