Ostern – ein Reiseführer?
Ein Gastbeitrag der evangelischen Landesbischöfin Prof. Dr. Heike Springhart
Wenn mich das Fernweh packt und ich an eine Reise denke, besorge ich mir einen Reiseführer für das ersehnte Ziel. Wenn ich darin blättere, bekomme ich einen Geschmack dafür, was ich irgendwann einmal sehen und erleben werde. Meine Reiseführer von Orten, die ich erst in der Zukunft besuchen werde, haben für mich viel mit Ostern zu tun und mit der Urgeschichte des christlichen Glaubens. Paulus schreibt im ersten Korintherbrief, dass an der Auferstehung Jesu alles hängt: unser Glaube, die Predigt sowieso und erst recht die Hoffnung (vgl. 1 Kor 15,14). Jesus Christus ist der erste, der von den Toten auferweckt wurde. Und das gilt uns allen. Ostern ist ein Vorgeschmack auf das, was einmal werden wird.
Ostern lenkt den Blick auf die Zukunft. Nicht auf eine ferne Zukunft, sondern auf die Zukunft mitten im Hier und Jetzt. Sie entsteht und wächst durch Hoffnung. Der Glaube an den Auferstandenen weckt eine Hoffnung, die uns hier und jetzt Mut und Zuversicht verleiht. Sie hat den Tod zwar im Blick, weiß aber darum, dass ihm die letzte Macht über uns genommen ist. Stur an dieser Hoffnung festzuhalten, bedeutet zu wissen und daraus zu leben, dass das Beste noch vor uns liegt. Dass es eine Zukunft gibt – und dass es Gott ist, der für diese Zukunft sorgt. Dieser Bogen von dem, woher wir kommen, hin auf das, wohin wir gehen, ist mit der Auferstehung Christi gespannt. An seiner Auferstehung entdecken wir, was uns einmal blüht.
Wie es uns genau ergehen wird, wie es aussieht, wie wir auferstehen und nach dem Tod leben werden, davon erzählt die Bibel in unterschiedlichen Bildern und Vorstellungen. Für Paulus ist klar, dass wir leiblich auferstehen, nicht als Geisterwesen oder herumirrende Seelen. Wir werden mit einem verwandelten Leib auferstehen. Auch wenn unsere Körper nach dem Tod zu Staub und Asche werden, wird Gott etwas Neues schaffen: einen neuen Leib, der ich bin; einen Leib, der meinen Namen trägt, der mich einzigartig macht. Wie es aussehen wird, werden wir dann erleben. Es wird reicher und bunter sein als die Bilder, die wir uns machen können, so wie letztlich auch die Wirklichkeit alle Bilder der Reiseführer übertrifft.
Lebendige Hoffnung ist nach vorne gerichtet. Da der Ausgang ungewiss ist, brauchen wir die Orientierung an der lebendigen Hoffnung. Sie hat ihren Grund im Leben des Ostermorgens und ihren Realismus im Schmerz des Karfreitags. Von Ostern her speist sich die Aussicht, dass etwas Neues lebendig wachsen kann – selbst da, wo es so aussieht als würde alles nur kleiner, schwächer und weniger. An Karfreitag und Ostern zeigt sich, dass in der Verletzlichkeit eine verwandelnde Kraft liegt. Sie ist die fundamentale Offenheit für das, was uns widerfährt: Liebe und Vertrauen, Krankheit und Gewalt, aber auch die Erfahrung der Beziehung zu Gott.
Wenn Jesus vom Reich Gottes spricht, legt er den Finger darauf: Im Hier und Jetzt ist etwas angebrochen und steht zugleich noch aus. Wenn Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein werden und Armen das Evangelium gepredigt wird, beginnt etwas, das noch nicht vollendet ist.
Es ist der Kern des Evangeliums und der Hoffnung auf seine Erfüllung, dass wir es eben nicht in unseren Händen haben, dass uns die Wahrheit entzogen bleibt und wir deswegen als Kirche wahrheits- und gewissheitssuchende Gemeinschaft sind und bleiben. Wir haben es nicht in der Hand, über wahr und unwahr letztlich zu entscheiden. Das ist und bleibt Sache Gottes. Karfreitag öffnet den realistischen Blick und schärft ihn für Mächte und Gewalten, auch für die unheilvolle Mischung aus öffentlicher Meinung und Politik, die uns immer wieder begegnet. Der Blick an das Kreuz Jesu nötigt dazu, den verwundbaren Realitäten des Lebens schonungslos ins Auge zu sehen. Zugleich ist von dort her auch deutlich, dass wir selbst durch Gottes Offenbarung in Frage gestellt sind und uns und unsere Wahrheitserkenntnisse immer wieder neu auf den Prüfstand stellen müssen. Das führt zu Mut und Demut gleichermaßen und zu heilsamer Selbstrelativierung.
Auch nach Ostern bleibt uns der Tod nicht erspart. Auch Jesus ist wirklich gestorben. Aber als Christen glauben wir, dass sich etwas Entscheidendes geändert hat. Der Tod ist wohl noch eine Schlange, sagt Martin Luther, doch dieser Schlange ist der Giftzahn gezogen. Der biologische Tod, den wir sterben müssen, ist selbst entmächtigt, ist selbst tot. Er wird uns nicht mehr aus der Hand Gottes reißen, sondern Gott reißt uns aus der Macht des Todes. Dafür ist Ostern ein Vorgeschmack und ein Reiseführer!