„Es war so berührend, ein einmaliges Erlebnis“
Von wegen peinlich: Über 80 Passanten ließen sich am Gründonnerstag auf dem Karlsruher Marktplatz die Füße waschen
Von Christine Süß-Demuth
Karlsruhe. Im Interview hatte die evangelische Theologieprofessorin Anni Hentschel gesagt, sie glaube nicht, dass die Fußwaschung „für uns heute als Ritual geeignet wäre“ (RNZ vom 6. April). Als geschwisterlicher Liebesdienst innerhalb von Gemeinden, der sich auch auf die Gemeinschaft zwischen Konfessionen auswirke, wäre sie sicher im Sinne des Johannesevangeliums. Aber: „Wir können damit nichts anfangen. Für uns ist es gefühlsmäßig ein Sklavendienst und eher peinlich“, so Hentschels Einschätzung. Das sehen am Gründonnerstag auf dem Karlsruher Marktplatz über 80 Passanten ganz anders. Sie lassen sich die Füße waschen – im Rahmen einer ökumenischen Aktion.
Zwölf Stühle und zwölf Emaille-Schüsseln mit warmem Seifenwasser und Handtuch: Mitten auf dem Karlsruher Marktplatz warten der evangelische Dekan Thomas Schalla und der katholische Dekan Hubert Streckert gemeinsam mit weiteren Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Ehrenamtlichen am Gründonnerstag auf die Menschen. Anfangs war der Initiator der öffentlichen Fußwaschung, der evangelische Citykirchenpfarrer Dirk Keller, skeptisch, wie viele ihm die Füße „zustrecken“ würden. Doch dann habe es zahlreiche sehr intensive Begegnungen gegeben. „Ja, der Jesus wusste schon, dass die Liebe auch durch die Füße geht“, sagt Keller. Er ist überrascht, wie viele Passanten das Angebot annehmen. Schnell sind die zwölf Stühle immer wieder neu besetzt. Hier sitzt die Fünfjährige, dort ist die 90-Jährige mit ihrem Rollator. Ihr wäscht Keller statt den Füßen die Hände. Ehrenamtliche bringen Schalen mit frischem, warmem Seifenwasser und kleine Schälchen mit Narden-Öl aus Israel. Das vor allem von der katholischen Kirche bekannte Gründonnerstags-Ritual soll daran erinnern, wie Jesus am Abend vor seinem Tod am Kreuz seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. Traditionell waschen der Papst und auch Priester an diesem Tag anderen Gläubigen die Füße.
Peinlich oder unangenehm sei es überhaupt nicht gewesen, erzählt eine ältere Dame: „Es war so berührend, ein einmaliges Erlebnis“. Ähnlich geht es auch einer jungen Frau aus Venezuela, die für einige Tage in Karlsruhe zu Besuch ist. „Es war das perfekte Zeichen für meinen Glauben“, sagt Fatima, die katholisch ist.
Nachdem sie die grünen Socken mit den symbolischen weißen Händen angezogen hat, spendet ihr Dekan Streckert auf Englisch den Segen „God bless you“. Für den katholischen Priester ist es auch eine Premiere. Zwar wasche er jedes Jahr in der katholischen Kirche Menschen die Füße, aber noch nie ökumenisch und in der Öffentlichkeit.
Zum ersten Mal seift auch Hanna Siegmann fremden Menschen die Füße ein. Anfangs sei es zwar ungewohnt gewesen, aber auch eine „total schöne Geste“. Es sei etwas ganz Besonderes, den Menschen die Füße zu waschen und danach mit einem Öl zu salben, berichtet die Ehrenamtliche strahlend.
Als ein wunderbares Erlebnis bezeichnet es auch der evangelische Dekan Thomas Schalla: „Mit den Füßen ist es wie mit dem Glauben, man spricht meist nicht darüber.“ Es sei eine wunderbare Möglichkeit, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen und Nähe aufzubauen. Seinen evangelischen Kollegen rät er: „Probiert es unbedingt mal aus.“