Wertheimer beten für den Frieden
Von Jens Eberhard JahnWertheim. „Krieg ist kein Normalzustand!“: So lautet seit einem Jahr die Botschaft der Friedensgebete in der Wertheimer Stiftskirche.
Schon eine Woche nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 haben sich Wertheimer Christinnen und Christen zum Friedensgebet in der Stiftskirche verabredet. Diese Friedensgebete gibt es bis heute. Der Krieg in der Ukraine ist ja auch noch nicht beendet.
Jeden Freitag um 12 Uhr lädt Pfarrerin Wibke Klomp zum Friedensgebet in die Stiftskirche. Seit März 2022 ist das Chefsache für die Dekanin des Kirchenbezirks Wertheim. „Es reicht uns nicht, die christliche Friedensbotschaft hochzuhalten, wir wollen sie einfordern“, erklärt sie.
Zum ersten Friedensgebet am 25. Februar 2022 kamen nur fünf Personen. Jetzt versammeln sich in der Regel etwa 20 Menschen in der Kirche, in der Mehrzahl Rentnerinnen und Rentner, manchmal auch Touristinnen und Touristen. Aber auch Berufstätige nutzen ihre Mittagspause, um am Gebet teilzunehmen. „Wenn es jetzt im Frühling in der Kirche wieder wärmer wird, kommen auch wieder mehr Menschen dazu“, ist sich die Pfarrerin sicher.
Innehalten im Alltag
Viele Menschen sind freitags um 12 Uhr allerdings bei der Arbeit oder in der Schule und somit eher geschäftig als andächtig. „Die Glocken läuten mitten am Tag, mitten in der Gesellschaft zum Gebet“, sagt Dekanin Klomp, „ein Innehalten im Alltag, eine kurze Unterbrechung.“ Um für Frieden zu beten, sei die Anzahl der Betenden nicht wichtig.
Die Andacht dauert nur 15 bis 20 Minuten, der Ablauf ist schlicht: Das Mittagsgeläut ruft zum stillen Gebet. Danach folgen einleitende Worte der Dekanin, ein modernes Kirchenlied, ein Psalm. An diesem Freitag war es Psalm 34. „Suche den Frieden und jage ihm nach“, heißt es darin. Dann folgen ein traditionelles Kirchenlied und eine kurze Meditation. Diesmal über einen Text von Franz von Assisi: „Lass mich Frieden stiften“. Pfarrerin Klomp spricht dann die Segensworte, die schlichte Andacht ist zu Ende.
Menschen in Wertheim beten für den Frieden. Manche von ihnen waren schon in den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv, andere sind neu hinzugekommen. Anfangs waren Geflüchtete aus der Ukraine dabei. Doch viele von ihnen haben nun in der orthodoxen Gemeinde in Wertheim eine religiöse Heimat gefunden, erzählt die Pfarrerin.
Das Friedensgebet habe auch der Ökumene, der Zusammenarbeit aller Kirchen, Impulse gegeben, zeigt sich Klomp überzeugt: „Vor einem Jahr gab es Anfang April ein Treffen aller Religionsgemeinschaften in Wertheim. Für alle sichtbar hängt seitdem das vielsprachige Friedensbanner am Kulturhaus.“
Unmittelbar nach Kriegsbeginn fanden in vielen Gemeinden im Land Friedensgebete statt. Nach einigen Monaten war es vielerorts damit vorbei. Klomp ließ nicht locker. Sie möchte in Wertheim weiterhin für Frieden beten. Und für Gerechtigkeit, denn es gehe nicht allein um Waffenstillstand. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Strukturen müssen sich ändern, damit die Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht die Machtgier Einzelner und die Profite der Rüstungsindustrie. „Der Herr stürzt die Mächtigen vom Thron“, zitiert sie das Magnifikat, Marias Lobgesang. „Sicher haben die Menschen hier verschiedene Meinungen darüber, wer zu den Mächtigen gehört. Aber uns alle eint die Hoffnung auf Frieden.“
Friedensgebete sind hochpolitisch, aber über Politik wird dabei nicht diskutiert. Es ist nicht Thema am Freitagmittag, ob Waffenlieferungen an die Ukraine legitim sind oder nicht. „Wichtig ist, dass wir nicht abstumpfen. Wir dürfen nicht denken, dass es normal ist, dass Menschen gegeneinander Krieg führen und sich bekämpfen.“ Wichtig sei es daher, dass wir uns nicht an die Kriegsrhetorik in der Politik gewöhnen.
Die Friedensgebete wird es in Wertheim wohl so lange geben, wie der Krieg in Osteuropa dauert. Ein Teilnehmer erinnert allerdings daran, dass es noch weitere Kriege auf der Welt gibt: „Die anderen Kriege dürfen wir nicht vergessen. Wir sollten auch nicht vergessen, dass durch Hunger weltweit noch mehr Menschen sterben als durch Krieg.“
Gegen das Vergessen treffen sich in Wertheim Menschen zum Gebet um Frieden und Gerechtigkeit. Jeden Freitag um 12 Uhr in der Stiftskirche an der Weltkugel.