Damit das Gehirn länger fit bleibt
Neue App der Diakonie soll Demenz-Risiko erkennen Weg zu einer individualisierten Behandlung möglich Künstliche Intelligenz wird zurzeit getestet VON CHRISTINE SÜß-DEMUTH, EPDMit Gedächtnis- und Erinnerungslücken fängt es an: In Deutschland sind rund 1,8 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Allein in Baden-Württemberg sind etwa 200 000 Menschen betroffen – ein Tribut auch an die alternde Gesellschaft und die immer längere Lebenserwartung. Heilen lässt sich die Erkrankung, die vor allem ältere Menschen betrifft, nicht. Je früher eine Demenz erkannt wird, desto besser.
Durch eine frühzeitige Behandlung könnte rund ein Drittel aller Demenzerkrankungen verhindert oder zumindest im Verlauf positiv beeinflusst werden, sagte Johannes Walter, Digital-Referent der Diakonie Baden. Bislang würden weltweit nur 20 bis 50 Prozent aller Demenzerkrankungen erkannt.
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) soll es künftig möglich sein, nicht nur Risikofaktoren für die Erkrankung rechtzeitig zu identifizieren, sondern auch die Demenz selbst schneller zu entdecken. Helfen soll dabei eine App namens „Alfredo“, die vom Karlsruher Forschungszentrum Informatik (FZI) gemeinsam mit der Diakonie Baden entwickelt wurde und jetzt getestet wird.
Sie soll dazu beitragen, die geistige Gesundheit und das Gedächtnis zu erhalten. Vor allem Patientinnen und Patienten mit leichten Demenz-Symptomen könnten von diesem Angebot profitieren, so Walter. Das Projekt wird mit 650 000 Euro vom Land Baden-Württemberg gefördert.
In dem Computerprogramm werden verschiedene Diagnose- und Monitoringmethoden kombiniert, um frühzeitig eine differenzierte Diagnose zu stellen, die Ursache zu erkennen sowie geeignete Gegenmaßnahmen zu identifizieren. Per Smartwatch sollen etwa Gesundheitswerte wie EKG, Blutdruck und Bewegung gemessen werden.
Der vielversprechendste Ansatz zur Behandlung von Demenzen sei derzeit die Risikofaktorenbehandlung, erläutert Entwickler Marius Gerdes vom FZI. Diese setze darauf, dass der Gesundheitszustand des Patienten ganzheitlich, aber auch präzise und zielorientiert verbessert wird. Dazu wurde eine App für Smartphone und Smartwatch entwickelt.
Damit sollen zunächst drei von mehreren Risikofaktoren für Demenz überwacht werden, nämlich Schlafqualität, Bewegungsmangel und Ernährung. Mit dem Monitoring bekommen die Teilnehmenden auf sie persönlich zugeschnittene Empfehlungen zur Änderung ihres Lebensstils.
So werden die Teilnehmer beispielsweise per App daran erinnert, sich ausreichend zu bewegen und sich gesund und abwechslungsreich zu ernähren. Wer die Aufgaben „30 Minuten spazieren gehen“, „Dehnübungen machen“ oder „einen Apfel essen“ geschafft hat, drückt auf der App die Taste „erledigt“.
Für die Interaktion sollen auch Angehörige und der ambulante Pflegedienst einbezogen werden. Die klinische Bewertung und Telekonsultation wird dann von Neurologen durchgeführt. Bisher ist das Angebot lediglich im Großraum Karlsruhe über die Teilnahme an der Studie nutzbar, die im März beginnt. „Wir wollen keine Versprechen machen“, sagte Lena Messemer, Projektmanagerin der Diakonie Baden beim Projekt Alfredo. Auch wenn sich eine Demenz bislang nicht heilen lasse, trage die App auf jeden Fall zu mehr Lebensqualität bei.
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Wie sich die Krankheit feststellen lässt
Demenz: Bei diesem Begriff handelt es sich um einen Oberbegriff für Erkrankungen, die mit dem Verlust von geistigen Fähigkeiten wie Denken, Erinnern oder Orientierung einhergehen. Oft kommt die Diagnose sehr spät, und es gibt noch keine wirksamen Medikamente gegen die Krankheit. Ihr Verlauf lässt sich allenfalls für eine gewisse Zeit aufhalten. Daher kommen vorbeugende Maßnahmen wie ein gesunder, geistig und körperlich aktiver Lebensstil umso größere Bedeutung zu.
Diagnose: Mit neuropsychologischen Tests versuchen Mediziner zunächst, die Stellen im Gehirn zu identifizieren, bei denen es zu Störungen kommt. Gibt es Hinweise auf eine leichte kognitive Beeinträchtigung, ist dies noch keine Erkrankung, das Risiko für eine Demenz ist aber stark erhöht: Innerhalb von fünf Jahren erkranken 80 Prozent der Betroffenen.
Forschung: Mit neuen Früherkennungstests kann festgestellt werden, ob es sich um eine altersgemäße Entwicklung oder bereits um eine beginnende Demenz handelt. Nachweisen wollen Göttinger Forscher das künftig mit einem einfachen Bluttest, ähnlich einem Antigen-Schnelltest oder einem Blutzuckertest – und das lange, bevor erste Symptome einer Demenz auftreten.
Mikro-RNA-Moleküle: Sie spielen bei dem Test eine wichtige Rolle, denn sie sorgen dafür, dass die Zellen im Gleichgewicht sind. Wenn unser Gehirn gewissen Reizen ausgesetzt ist, dann reagiert es darauf. Bestimmte Vorgänge werden aktiviert und deaktiviert. Hierfür sind die Mikro-RNA-Moleküle wichtig. Wenn es krankheitsbedingte Veränderungen gibt, wird dieses Gleichgewicht gestört, und das kann gemessen werden.
Schon bereit: Aufs Smartphone herunterladen kann man seit einem Jahr die App „Alzheimer and You“ der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Sie gibt Anregungen für Angehörige von Demenzkranken. (sk)