Rhein-Neckar-Zeitung - Heidelberger Nachrichten, 09.03.2023

 

Was macht ihr da eigentlich?

Ein muslimischer Imam, eine protestantische Pastorin und ein katholischer Pfarrer geben Antworten auf die Frage, was hinter der „Fastenzeit“ steckt

Von Felix Hüll

Region Heidelberg. Frühjahr, Fitness, Fasten – die über den Winter hinzugekommenen Pfunde müssen runter. Für das Sportstudio ist das Ziel damit ausführlich beschrieben. Angehörige von Weltanschauungsgemeinschaften verbinden damit aber mehr; was genau sie in der Fastenzeit tun, das erklären ein Imam des Islam, eine protestantische Pastorin und ein katholischer Priester aus der Region.

> Der Muslim: Im Islam gilt als wertlos, wenn der Gläubige besonderes Aufhebens davon macht, auf was alles er im muslimischen Fastenmonat Ramadan verzichtet, berichtet Naweel Ahmad Shad. Er ist Imam in Eppelheim, seine Gemeinde ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat, aber Shad versorgt auch Gläubige in Heidelberg, Schwetzingen und Sinsheim. Der Fastenmonat Ramadan der Muslime beginnt dieses Jahr am 22. März. Weil der Kalender im Islam nach dem Mondumlauf berechnet ist, verschiebt sich der Termin jedes Jahr. Im Ramadan gilt die strenge Regel, dass Gläubige zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang weder essen, trinken oder rauchen dürfen und auch keinen Beischlaf, also Sex, haben. Shad bringt es auf die Formel „Die körperliche Nahrung nimmt ab, die spirituelle zu.“ Ziel des Glaubenden sei, durch Hunger und Durst Mitgefühl zu bekommen für jene Menschen, die jeden Tag hungern müssen. „Im Ramadan soll man noch mehr als sonst gute Taten an seinen Mitmenschen vollbringen“, erläutert Imam Shad, und nennt drei Grundpfeiler des Fastens: Da ist einmal die Gemeinschaft mit anderen Menschen zu fördern. Ferner gehe es darum, die Nähe zu Allah zu spüren, sie zuzulassen und noch intensiver als sonst zu empfinden. Und im gemeinsamen Gebet in der Gemeinschaft der Gläubigen gelte es, auch hier den Zusammenhalt zu stärken. Shad: „Sehr oft wird das Fasten allgemein als etwas Beschwerliches gesehen. Opferbereitschaft gehört dazu. Aber das ist zweitrangig. Das Wichtigste ist die spirituelle Entwicklung, dass man Gott näherkommt.“

> Die Protestantin: „Gott ist einem ganz nah.“ Das sagt auch Pastorin Michael Schmittberg von der evangelischen Pauluskirchengemeinde in Eppelheim. „Wichtig ist: Es ist Gott, der auf uns zukommt, der uns seine Gnade schenkt.“ Schmittberg gibt zu bedenken, dass es für eine Pastorin eine zweischneidige Sache sei, wenn sie das „Fasten“ erklären soll. „Den Reformatoren war wichtig: Wir selbst können die Trennung zwischen Gott und Mensch nicht selbst überwinden. Wir glauben, dass uns Gott allein aus Liebe nahe kommt.“ Vermessen scheine es da, durch eigenes bewusstes Einschränken menschlicherseits nachhelfen zu wollen. „Das Brechen der strengen Fastenbräuche ist ja gerade ein Markenzeichen der Reformation,“ sagt Schmittberg. Sie erinnert an das öffentliche „Froschauer Wurstessen“ von Zürich 1522. Damals wurde am ersten Sonntag der Fastenzeit („Invokavit“, 9. März) bewusst gegen das geltende Enthaltsamkeitsgebot der (katholischen) Kirche verstoßen. In der Schweiz entwickelte sich aus diesem Einzelereignis heraus die Reformation – ähnlich Luthers Thesenanschlag an der Schlosskirche von Wittenberg 1517 in Deutschland. Andererseits sagt die Pastorin Schmittberg aber auch: „Es ist erst mal eine gute Idee, sich auf die Suche zu machen, Bibel zu lesen, still zu werden, eingeschliffene Gewohnheiten zu überdenken und wieder zu ändern.“ Protestanten prüften aber sich selbst, ob sie ihre Grenzen erkennen und merken, dass sie der göttlichen Gnade bedürfen. Schmittberg: „Wir haben keine Garantie darauf. Sie ist ein Geschenk.“ Förderlich dabei sei, sich ums Gemeinwesen verdient zu machen. „Es gibt viele in der Gemeinde, die sich dem Klimafasten angeschlossen haben“, sagt die Pastorin. „Die Fastenzeit ist eine gute Möglichkeit, kritisch auf das eigene Leben zu gucken und durch Verzicht, durch Teilen des Überflusses, mit anderen christlich zu handeln.“

> Der Katholik: „Fasten, das ist bewusster Verzicht auf etwas, was man im Alltag sonst immer hat – nicht nur Essen,“ sagt Pfarrer Tobias Streit von der katholischen Seelsorgeeinheit Neckar-Elsenz in Neckargemünd. „Klar, das hat eine lange Tradition in der katholischen Kirche. Man isst kein Fleisch, keine Süßigkeiten und solche Dinge. Aber es gibt auch andere Formen wie das Klimafasten, Handyfasten oder beim Medienkonsum.“ Streit erklärt, dass die Kirche zwischen Aschermittwoch und Gründonnerstag, dem Tag vor Karfreitag, eine 40-Tage-Fastenzeit festgelegt hat. Der Zeitraum ist etwas länger, aber die Sonntage gelten nicht als Fasttage.

Christen feiern Ostern als ihr höchstes Fest, weil da Jesus nach seinem Tod am Kreuz vom Tod auferstanden ist „und uns das sagt, es geht nach dem Tod weiter“, erläutert Streit. Zur Vorbereitung üben sich die Gläubigen im Verzicht und tun Buße. Das klinge so negativ, sei aber gar nicht so, meint der Pfarrer. Gedacht sei, dass sich Christen bei drei Dingen Fragen stellen: Wie steht’s mit meiner Beziehung zu Gott? Zu meinen Nächsten? Und wie steht’s um mich selbst? Streit: „Jeder Mensch, ob gläubig oder nicht, wird zustimmen, dass es wichtig ist, wie bewusst ich mit mir und meinen Mitmenschen umgehe.“ Bei dieser inneren Auseinandersetzung helfe es, auf Überfluss zu verzichten und sich auf das Wesentliche, bei der Nahrung wie auch im übertragenen Sinne, zu konzentrieren. Streit: „Heilfasten hat ja auch kirchlichen Ursprung, etwa in Hildegard von Bingen. Und Gott will doch auch, dass ich gesund bin.“ Christen sollten über ihr Verhältnis zu Gott und Glauben nachdenken, ob sie das Gebot der Nächstenliebe befolgen und wo sie jetzt besonders gute Taten vollbringen können. Streit empfiehlt Orte aufzusuchen, die einem „spirituell gut tun“, etwa bei einem Spaziergang in die Natur, zum stillen Gebet in eine Kirche zu gehen oder überall dahin, wo man auch Kraft schöpfen könne. Streit meint dazu: „Deswegen ist die Fastenzeit eigentlich etwas ganz Schönes – nicht nur Verzicht. Das Evangelium sagt ganz klar, wenn Du Dein Fastenopfer tust, dann mach’ kein finsteres Gesicht. Bleibe normal und freundlich.“