Wertheimer Zeitung, 07.03.2023

 

Was ein Wertheimer bei den Hofsängern macht

Narren: Kirchenmusiker Carsten Klomp unterstützt am Klavier bei »Mainz bleibt Mainz« und ist auch beim Faschingsumzug dabei

Von unserem Mitarbeiter MICHAEL GERINGHOFF

WERTHEIM. Da gibt es viel darüber zu reden, wie der studierte Kirchenmusiker Carsten Klomp seine tragende Faschingsrolle als Dirigent der populären Mainzer Hofsänger, mitsamt TV-Auftritt bei »Mainz bleibt Mainz« denn nun wahrgenommen hat. Über allen hübschen Details steht ein gewaltiges »Wow«. Da steckt viel mehr hinter der Fernseh-Faschingsmaschine, die die berühmten Hofsänger nun mal sind.

»Sowas verändert einen«, sagt Klomp und meint damit das Gesamtpaket - vor allem aber das Finale hoch auf dem Faschingswagen beim Mainzer Rosenmontagsumzug. Neuneinhalb Kilometer war die Schlange der Prunkwagen lang, mehr als eine halbe Millionen Menschen hatten den Vorbeiziehenden zugejubelt, auch Klomp und dem Wagen des Mainzer Carneval-Vereins, zu dem die Hofsänger gehören. Der Mann, der da 20 Minuten nach Zugende mit Koffer und dunklen Mantel den Weg Richtung Bahnhof einschlägt, ist ein Gezeichneter. »Der Kontrast hätte nicht größer sein können«, sagt Klomp.

»Das verändert den Menschen«

Beifall ist der Profimusiker gewöhnt - mal höflich in der Kirche nach einem Orgelkonzert, auch schon mal als Ovation nach einem besonders gelungenen Chorkonzert. »Aber wenn eine halbe Millionen Menschen einem zwei Stunden lang frenetisch zujubeln, das verändert den Menschen«, erklärt Klomp. »Man weiß natürlich: Die meinen nicht Dich persönlich.« Aber irgendwann ziehe es einen dann unweigerlich mit, sagt er. Klomp hat Schokoriegel geworfen, als gäbe es kein Morgen. »Man geht natürlich davon aus, dass die meisten der Menschen am Faschingsumzug zuhause etwas zu essen haben«, trotzdem werfe man mehr und mehr - wie im Rausch.

Fast wie bei römischen Kaisern

Es sei ein bisschen wie bei den römischen Kaisern, wenn sie im Triumphzug Münzen unter die Menge der Untertanen geworfen hätten. »Auch beängstigend«, sagt Klomp. Er könne schon verstehen, wenn der ein oder andere da überschnappt - vielleicht Politiker oder Stars, denen ja immer zugejubelt werde. So aufgewühlt, das Adrenalin noch auf Anschlag und den Kopf voller Bilder, war er dann also ganz unscheinbar im dunklen Mantel, die Narrenkappe im Koffer verpackt, unterwegs zum Bahnhof gewesen.

Es sei ein absolut unglaubliches und nie zu vergessendes Erlebnis gewesen, schwärmt er immer noch überwältigt und bestätigt gleichzeitig die Erkenntnis, dass Zugtoiletten da etwas sehr Erdendes hätten. Ob man übrigens wisse, dass die Umzugswagen der Narrengilden heutzutage mit einer Chemietoilette ausgestatten seien? - Jetzt wissen wir es. Auch dass die Zeiten längst vorbei sind, da schnöde Bonbons in die Menge geworfen wurden. Heutzutage sind es Schokoriegel, Kekse, Blumensträuße. »Alles etwas üppiger«.

Gewaltiger Jubel

Aber der Jubel der Massen sei nach wie vor gewaltig, das Erlebnis übermenschlich: »Mit Suchtpotenzial«, sagt Klomp. Zur Erinnerung: Klomp, der Professor an der Heidelberger Hochschule für Kirchenmusik ist, kommt aus dem sprichwörtlich spaßbefreiten Ruhrgebiet und ist obendrein evangelisch. Das ist sehr weit weg vom Fasching. Und trotzdem hat er ihn jetzt voll erwischt. Das hatte Klomp so nicht kommen sehen - so gar nicht.

Klomp spricht jetzt von der großen Familie der Faschingsnasen, von echter Freude und warmer Herzlichkeit. »Lauter nette Leute - die Berühmten, aber auch die weniger Berühmten.« Alles sei erstaunlich mitreißend gewesen, sagt er. Man erkennt die ungläubige Überraschung, die Klomp immer noch erschauern lässt. Und der Fernsehauftritt? Immerhin hatten fast viereinhalb Millionen Menschen zugeschaut.

Schwierige Bedingungen

»Naja«, meint Klomp. Fernsehen sei ein Bildmedium. Die Bedingungen für den Chor der Mainzer Hofsänger seien ziemlich schwierig gewesen, gerettet habe allein die unglaubliche Professionalität der Hofsänger, die weit mehr seien als der laute und lustige Faschingschor, den man seit 50 Jahren bei »Mainz bleibt Mainz« im Fernsehen erlebe. In den vier Wochen der Session hatten Chorleiter Klomp und die derzeit 14 Sänger über 40 Auftritte absolviert.

Dass einer der Sänger fehlte, war dabei zum festen Bestandteil des Programms geworden. »Der singt jetzt im Gefangenenchor«, so hatte man das immer wieder nach außen hin transportiert. Der Fehlende war einer der 25 Reichsbürger, die sich zum Staatsstreich um einen Adeligen und eine Richterin geschart hatten und im vergangenen Dezember verhaftet worden waren.»Unglaublich«, sagt Klomp, der aus dem Gefangenenchor sei ein ganz unauffälliger Typ gewesen.

Auch unglaublich der ganze pralle Rest so einer Mainzer Session. Kaum Zeit zum Üben, aber 40 Auftritte in nur vier Wochen. Es sei unglaublich anstrengend gewesen, »und dabei unglaublich schön«, erinnert Klomp.

Meist Profimusiker

Es liege nicht zuletzt am Chor und dessen Haltung zur Arbeit, die meisten seien Profimusiker. »Wir haben aber auch einen Versicherungsmakler, einen IT-ler, einen Winzer und einen Hausmann«.

Manche der Sänger hätten sogar echte Groupies, die nach Autogrammen fragten, sagt Klomp. Ihn hat noch keiner gefragt, aber er ist ja auch der Neue und trägt nur einen schwarzen Frack und keines der stilbildenden Harlekinkostüme der Hofsänger. Die Session bedeute lange Nächte. Ein Auftritt jage den nächsten, Schluss sei häufig erst frühs um halb zwei. Zwischendurch im Auto durch die Nacht rasen, kurzer Gang ans Buffet, dann die nächste närrische Halle, alles fliege rasend schnell vorbei, weiß Klomp.

Schön und wild

Am schönsten sei es dort gewesen, wo es am wildesten war. Bei einem Auftritt in der Rheingoldhalle waren Klomp und sein Klavier im Konfettiregen untergegangen, die Tasten zehn Zentimeter dick mit Papierschnipseln überhäuft.

Rheinlandpfälzer Fasching macht echte, unaufgesetzte gute Laune, wie Klomp jetzt weiß. Sein Amtsvorgänger hatte den Dirigentenirrsinn übrigens 20 Jahre lang mitgemacht, und auch Carsten Klomp der Wahl-Wertheimer und Ruhrgebietsevangelist wäre nunmehr bereit dazu - ach was: begierig darauf.