epd Landesdienste, 16.02.2023

 

Das Gesundheitssystem im Wandel - Hausärztemangel verschärft sich bis 2030 - Von Susanne Lohse (epd)

Bad Herrenalb/Hohenstein/Kehl (epd). Das Gesundheitssystem in Deutschland steht vor einem Wandel. Krankenhäuser schließen und im ländlichen Raum droht ein Fach- und Hausärztemangel. Alle müssten umdenken, sagte Jürgen Mohrbacher von der Kommunalen Gesundheitskonferenz im Ortenaukreis gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Die Alleinkämpfer in der Hausarztpraxis werden aussterben», prognostizierte der Gesundheitspädagoge.

In Baden-Württemberg sind laut der Evangelischen Arbeitnehmerschaft im Bereich der Evangelischen Landeskirche in Baden (EAN) mehr als 1.300 Hausärzte älter als 65 Jahre. In absehbarer Zeit werde sich der Ärztemangel auf dem Land noch deutlich intensivieren, heißt es in der Mitteilung. Bis 2030, so die Schätzungen, werde rund ein Drittel aller Praxen im ländlichen Raum wegfallen. Betroffen sind auch kleine Städte. Nicht betroffen seien Großstädte sowie die großen Kreisstädte.

Eine 60-Stunden-Woche für einen Arzt wie in den 1960er-Jahren sei für junge Mediziner nicht vorstellbar, sagte Mohrbacher, zumal die Medizin immer weiblicher werde. Der Studiengang Medizin wird aktuell zu 70 Prozent von Frauen belegt. Der zeitliche Umfang an einem Kassensitz sei derzeit nur von zwei Ärzten zu bewältigen, von denen jeder eine 70-Prozent-Stelle habe, erklärte der studierte Pfleger.

Bei einer Diskussion im Haus der Kirche in Bad Herrenalb am Freitag (17. Februar, 19 Uhr) stellen Mohrbacher und der frühere Karlsruher Bürgermeister Ulrich Eidenmüller alternative Modelle zu den bekannten Medizinischen Versorgungszentren und Gemeinschaftspraxen vor. Den klassischen Ansätzen gemein ist laut Mohrbacher, dass «damit Geld verdient werden soll». Das Genossenschaftsmodell in Pfinztal (Landkreis Karlsruhe), das Eidenmüller vertritt, vergibt Praxisanteile.

Völlig anders plant der Ortenaukreis die medizinische Versorgung der Zukunft. Nach der Schließung der Krankenhäuser in Ettenheim und Oberkirch steht mit Kehl das dritte Krankenhaus im Landkreis vor dem Aus. «Wir wollen ein Port-Gesundheitszentrum errichten», sagt Mohrbacher und erklärt, «das ist ein am Patienten orientiertes Gesundheitssystem». Vorbild ist das Gesundheitszentrum Hohenstein in Hohenstein auf der Schwäbischen Alb. Es sieht als Kern einen «Gesundheitslotsen» vor, der zusammen mit dem Allgemeinarzt den Überblick über die Behandlung behält und den Patienten an die Hand nimmt. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit Fachärzten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Sozialarbeitern.

Gerade bei einem Schlaganfall sei der Patient nach der Entlassung auf eine komplexe Weiterbetreuung angewiesen. Er benötige unter Umständen auch Hilfe bei Anträgen zum Umbau seiner Wohnung. «Wir wollen die Leute befähigen, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen», sagt der Projektmanager Friedemann Salzer. In der 4.000 Einwohner zählenden Gemeinde Hohenheim wurde mit Geldern der Hans-Schwörer-Stiftung ein Neubau erstellt, in welchem sich Ärzte und Therapeuten einmieten konnten. Wöchentlich finden Vorträge zu gesundheitsrelevanten Themen wie Ernährung bei Diabetes statt. «Unsere Ärzte habe die Idee verinnerlicht: Es geht um den Patienten, nicht um den Abrechnungsfaktor», hebt Salzer den Präventionsgedanken hervor. Die Resonanz auf das Gesundheitszentrum in dem strukturschwachen Gebiet sei gut.

Der Gesundheitspädagoge Mohrbacher kann sich vorstellen, dass das System breitflächig funktioniert. Vorausgesetzt, dass bei der Reform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach «Prävention mehr im Vordergrund steht und nicht die Behandlung von Symptomen», wird er deutlich. «Das Abrechnungssystem muss sich ändern. Gerätemedizin darf nicht höher vergütet werden als ein ordentliches Gespräch.» (0403/16.02.2022)

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