Pforzheimer Zeitung, 21.01.2023

 

Frischer Wind im Wichernhaus

Obdachloseneinrichtung will sich strukturell und räumlich neu aufstellen.

Container als Erfrierschutz mit mehr Schlafplätzen versehen.

Martina Schaefer
| Pforzheim

Oft kommen sie abends: Bis zu 20 Mal in der Woche stehen Hilfesuchende vor der Tür des Wichernhauses an der Westlichen: Menschen ohne Dach über dem Kopf, ohne Geld und Versichertenkarte und mit einem ganzen Rucksack voller Probleme wie Sucht, psychische Erkrankung und Arbeitslosigkeit. Rund um die Uhr bekommen sie in der Einrichtung der Stadtmission Hilfe. Zunächst einen Schlafplatz, dann bei Bedarf eine weitergehende Fachberatung mit Hilfeplan für die nächsten Monate, der immer wieder angepasst wird.

In der in die Jahre gekommenen Einrichtung gibt es 40 Plätze in Mehrbettzimmern nach Frauen und Männern getrennt – und die Container als Erfrierungsschutz draußen vor der Tür mit inzwischen
16 Schlafplätzen. Dort gibt es immer mal wieder Konflikte zwischen den Nutzern. Mitunter beleidigen Neuankömmlinge Mitbewohner und Mitarbeiter so wie erst kürzlich. Ein aggressiver Mann musste deshalb vor einigen Tagen gehen.

Besondere Pflege nötig

Das Haus ohne jegliche Barrierefreiheit und ohne die Möglichkeit, speziell auf alte Menschen mit Suchtproblemen einzugehen, sei nicht mehr zeitgemäß, sagt Mike Ullmann, Einrichtungsleiter Sozialdienst. „Wir träumen von einer Einrichtung, in der wir vor allem auch pflegebedürftige Menschen aufnehmen können.“ Denn normale Pflegeheime kämen etwa mit der Betreuung von Alkoholikern schnell an ihre Grenzen. Auch die Strukturen und Abläufe im Haus müssten dringend überarbeitet werden.

Die Einrichtung ist seit Jahrzehnten mit ihren Außenwohngruppen und den Notunterkünften im Eutinger Tal Anlaufstelle für Betroffene in Stadt und Enzkreis. Die Zahlen der von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen steigt seit Jahren und auch deren Not. Seit zwei Jahren hat die Unternehmensberatung Hirsch Consulting die kommissarische Geschäftsführung des Hauses mit seinen knapp 30 Mitarbeitern inne– solange bis klar sei, wie die richtige Betriebsform aussehen könne. Eine Holzwerkstatt in einem Gebäude an der Durlacher Straße 23 ist eines der Arbeitsprojekte, bei denen etwa Holzbretter und Bienenbeuten entstehen. Dort können sich die Klienten nach ihrem Vermögen erproben, die Apfelernte und Saftmacherei sei ein weiteres Vorhaben. Immer gelte die Hilfe zur Selbsthilfe.
Zusammen mit dem betrieblichen Leiter Rudolf Wirtz stellt Ullmann als Nachfolger von Gieso Wege seit April vergangenen Jahres die Arbeit des Wichernhauses effizient und professionell auf – von der Soft- und Hardware bis hin zum Fallmanagement. Auch der neue Fachbereich Eingliederungshilfe speziell für seelisch Kranke sei dazu gekommen. Ein Coach hat das Team während der Umstrukturierung über Monate begleitet: Ullmann schwärmt vom besonderen Zusammenhalt seiner 30 Mitarbeiter und vom kurzen Draht zum Sozialamt. Als Sozialpädagoge und Sozialwirt, der unter anderem über reiche Erfahrung in der Straffälligenhilfe in Böblingen, als Leiter des Kolpinghauses Karlsruhe aber auch in der Jugendhilfe verfügt, hat der 55-jährige Ullmann beruflich zurück in seine Heimatstadt gefunden und lebt mit seiner Familie gut verankert in der Goldstadt.

Gelebte Menschlichkeit

Für ihn zählt neben Professionalität der kirchliche Auftrag. „Wir sind eine diakonische Einrichtung und die Menschlichkeit seht im Mittelpunkt,“ sagt er. Deshalb findet er mit seinem Team auch für schwierige Fällen eine Lösung. Wie etwa bei einem psychisch auffälligen Mann, der sich im Eutinger Tal nicht selbst versorgen konnte und jetzt in einer der Wohngruppen lebt und betreut wird.

Vor allem die wachsende Zahl psychisch labiler Frauen bereitet Ullmann Sorge. Denn da könne das Wichernhaus immer nur eine kurzfristige Unterstützung leisten. „Wir sind keine Psychologen.“