Rhein-Neckar-Zeitung - Mosbacher Nachrichten, 09.01.2023

 

„Es soll keine Kirche geschlossen werden“

Dekan Rüdiger Krauth erklärt die Maßnahmen des Strukturprozesses im evangelischen Kirchenbezirk Adelsheim-Boxberg

Adelsheim/Boxberg. (ahn) „Meine Vision ist, dass wir alle Kirchen im Kirchenbezirk Adelsheim-Boxberg erhalten“, betont Dekan Rüdiger Krauth (Foto). Dabei weiß er auch, dass dies ein durchaus ambitioniertes Ziel ist, zumal die Badische Landeskirche den Kirchenbezirken einen radikalen Sparkurs auferlegt hat. Mitgliederschwund, demografischer Wandel und nicht zuletzt die Missbrauchsfälle – dies hat auch auf die evangelische Kirche und die einzelnen Kirchengemeinden im Kirchenbezirk Adelsheim-Boxberg negative Auswirkungen. Wie die Badische Landessynode beschlossen hat, soll bis 2036 in allen Bereichen ein Drittel der Kosten eingespart werden. Was im schlimmsten Fall eben die Aufgabe von Kirchengebäuden bedeuten könnte. Welche Strukturprozesse auf den Kirchenbezirk Adelsheim-Boxberg zukommen, erklärt Krauth im Gespräch mit der RNZ.

Doch zunächst zur Ausgangslage: Die immer wieder ans Tageslicht tretenden Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche haben in der Bevölkerung zurecht eine Welle der Empörung ausgelöst. „Für die Missbrauchsfälle gibt es keinen Rechtfertigungsgrund“, betont der Dekan. Und: „Es ist ein Skandal, der auch uns als evangelische Kirche trifft. Wenn der eine leidet, leidet der andere mit. Weshalb wir auch viel mehr Ökumene betreiben müssen.“ Die Missbrauchsfälle seien nicht nur ein Problem der Kirchen, sondern der ganzen Gesellschaft. „Wir sind das Ziel aller Kritik, obwohl wir in Sachen Transparenz und Prävention weiter sind als die Gesellschaft“, sagt Krauth. Die Badische Landeskirche hat das Programm „Alle Achtung – Grenzen achten, vor Missbrauch schützen“ ins Leben gerufen. „Damit wollen wir erreichen, beim Thema Missbrauch zu sensibilisieren und dass auch schon Verdachtsfälle zur Anzeige gebracht werden“, erklärt der Dekan. „Ich wüsste keinen Verein, der dem Thema auf solch eine Art und Weise entgegentritt.“ Doch die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche haben dem allgemeinen Trend des Mitgliederschwunds in beiden großen Kirchen in Deutschland Vorschub geleistet. Dazu kommt noch der demografische Wandel. „Viele Mitglieder sterben oder sind in 20 bis 30 Jahren tot“, so Krauth. Und deren Kinder gäben den Glauben nicht mehr so weiter, wie es früher der Fall gewesen sei.

„Vor allem in Europa hat die Kirche keine Anerkennung mehr.“ Das liege auch an der Geistesgeschichte Westeuropas: „Die Aufklärung wirkt bis heute fort: Der Individualismus hat sich weiter verstärkt – nur ohne die Kirche. Heute ist die Gottheit Technik und Wachstum.“ Dies seien „Megatrends“, die sich kaum beeinflussen ließen.

Zwar gebe es einige Gemeinden, die mit „tollem Beispiel vorangehen“. Doch diese werden den allgemeinen Trend, der im Vergleich zu städtischen Verhältnissen mit Verzögerung auch den hiesigen ländlichen Raum ergriffen hat, nicht aufhalten. Die Zahlen bestätigten dies: 800 000 Mitglieder hätten die evangelische und katholische Kirche im letzten Jahr verloren. „Das ist schlimmer, als die Prognosen waren“, so Rüdiger Krauth, der sich realistisch zeigt: „Am Ist-Zustand gibt es nichts zu beschönigen: Bis 2050/60 werden alle Kirchen nur noch die Hälfte ihrer Mitglieder haben.“

„Doch Klagen hilft nichts“, weiß auch der Dekan. Die Kirchen müssen jetzt sparen. So hat die Badische Landessynode beschlossen, dass in allen Bereichen ein Drittel der Kosten eingespart werden muss. „Das sind Optimierungsprozesse, die man aus der Industrie kennt“, so der Dekan. „Die Landeskirche gibt die Strategie vor, wir müssen sie ausführen. Das macht keinen Spaß, ist aber notwendig. Zum Sparen gibt es keine Alternative.“

Aber man muss sich eben neu aufstellen – auch im Kirchenbezirk Adelsheim-Boxberg. So sollen die einzelnen Kirchengemeinden in drei großen Kooperationsräumen zusammengefasst werden. Der Kooperationsraum Nord-West mit knapp 6500 Gemeindegliedern umfasst Buchen, Walldürn, Hardheim-Höpfingen, Bödigheim-Seckach und Eberstadt. Der Kooperationsraum Süd mit gut 6000 Gemeindegliedern erstreckt sich von Sindolsheim im Norden bis Sennfeld, Leibenstadt und Korb im Süden und Ravenstein-Merchingen im Osten. Die restlichen 18 Kirchengemeinden des Kirchenbezirks werden im Kooperationsraum Süd-Ost Adelsheim-Boxberg zusammengefasst, dem dann rund 4200 Gemeindeglieder angehören. „Die Zusammenarbeit in den Kooperationsräumen soll forciert werden und verlässlicher funktionieren“, erklärt Krauth das Ziel.

Dies wird auch notwendig sein, denn nach einem Beschluss des Oberkirchenrats sollen die 17 Pfarrstellen des Bezirks bis 2036 auf zwölf reduziert werden. Das heißt, dass in jedem der drei Kooperationsräume bis in 14 Jahren nur noch vier volle Pfarrstellen verbleiben werden. Während der Kooperationsraum Nord-West seine vier Pfarrstellen behält, wird im Kooperationsraum Süd eine Pfarrstelle gestrichen. Wie die Streichung von vier Pfarrstellen im Kooperationsraum Süd-Ost konkret aussehen wird, muss noch ausdiskutiert werden.

Eine Residenzpflicht besteht für die Pfarrer dann nicht mehr. „Für die jeweils vier Pfarrstellen in den einzelnen Kooperationsräumen nehmen wir die Pfarrhäuser, die am leichtesten erhalten werden können“, erklärt der Dekan im Gespräch. Bis Ende des Jahres will man die zwölf Pfarrstellen im Kirchenbezirk festlegen.

Für die 60 Kirchen und Gemeindehäuser im Bezirk hat man eine Ampelregelung erstellt. Nur 15 Gebäude dürfen auf „Grün“ gesetzt werden – diese Gebäude werden langfristig von der Landeskirche mitfinanziert. 18 Gebäude müssen auf „Rot“ gesetzt werden, für diese gibt es keine Mitfinanzierung mehr. Die Gemeinden müssen schauen, ob sie diese Gebäude aus eigener Kraft bewirtschaften können oder ob sie diese aufgeben. Die restlichen 27 Gebäude werden auf„Gelb“ gesetzt, für diese Gebäude gibt es noch keine langfristig gültige Entscheidung.

Ein besonderes Anliegen für Krauth ist es, die 36 Kirchen im Bezirk zu erhalten. „Im Bezirkskirchenrat haben wir beschlossen, dass von uns aus keine Kirche geschlossen werden soll.“ Allerdings: „Die Kirchengemeinden sind hier in der Eigenverantwortung. Wenn kein geistliches Leben mehr in der Gemeinde vor Ort stattfindet, werden wir uns als Kirchenbezirk auch nicht mehr für den Erhalt der jeweiligen Kirche einsetzen.“

„Auf ,Rot‘ werden wir dann nur die Kirchen setzen, bei denen die Gemeinde sagt, dass die Kirche keine Zukunft mehr hat“, erklärt Rüdiger Krauth. Doch eigentlich will man alle 36 Kirchen, von denen 32 historisch und denkmalgeschützt sind – die älteste Kirche in Oberschüpf geht auf das 9. Jahrhundert zurück –, erhalten.

Und warum ausgerechnet die Kirchen und nicht lieber die Gemeindehäuser, von denen in den letzten Jahren schon eine Handvoll verkauft wurden? „Ich finde, eine solche Überlegung greift zu kurz“, sagt Krauth. „Ein Gemeindehaus steht in 100 Jahren nicht mehr – eine Kirche schon. Außerdem sind Kirchen ortsbildprägend und identitätsstiftend. Ich will unsere Kulturschätze bewahren und vertraue auf Gott, dass die Kirchen erhalten werden können.“