Stuttgarter Zeitung Stadtausgabe, 14.12.2022

 

Razzia gegen Letzte Generation

Sie blockieren Straßen und haben eine Raffinerie attackiert. Nun wurden bundesweit Objekte durchsucht, auch in Mannheim. Susanne Kupke

Ermittler haben im Rahmen einer bundesweiten Aktion gegen die Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation auch ein Objekt in Mannheim durchsucht. Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums wird eine Person als Beschuldigter geführt. Ob es eine Festnahme gegeben hat, konnte ein Sprecher zunächst nicht sagen. Der Mannheimer Beschuldigte soll nach Informationen aus Sicherheitskreisen an mehreren Taten bundesweit beteiligt gewesen sein. Unterdessen wächst die Kritik an den Klimaaktivisten. „Ich halte deren Aktionen nicht für sinnhaft“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag.

Der Letzten Generation fehlt nach Kretschmanns Einschätzung der Rückhalt der Gesellschaft. Mit ihrem Vorgehen schadeten sie der Klimabewegung, statt ihr zu nützen, sagte der Grünen-Politiker. Bei Greenpeace und deren Aktionen sei das anders: „Dahinter stand die Bevölkerung, da sind massenweise Leute eingetreten.“ Der Sinn von zivilem Ungehorsam sei der Appell an die Mehrheit, etwas zu ändern. Genau darauf habe Greenpeace erfolgreich gezielt.

Die Letzte Generation sieht sich als Vorkämpferin für konsequenten Klimaschutz – ohne Abstriche und aus ihrer Sicht faule Kompromisse. Dabei greifen die Aktivistinnen und Aktivisten auch zu Methoden am Rande oder außerhalb der Legalität. Letzteres ist der Grund für die bundesweiten Razzien vom Dienstag. „Wir sind die letzte Generation, die den Kollaps unserer Gesellschaft noch aufhalten kann“, heißt es in der Selbstdarstellung der Bewegung.

Innerhalb der Klima- und Umweltbewegung sind die Letzte Generation und ihre Aktionsformen durchaus umstritten. Auch die evangelische Landesbischöfin in Baden, Heike Springhart, hält einzelne Aktionen der Aktivisten, die den Boden der Legalität verlassen, „für nicht besonders geeignet“. Die Motive dahinter könne sie aber verstehen, Klimaschutz sei ein drängendes Thema – auch für andere Regionen in der Welt. Die Aktionen der Aktivisten wertete sie als Zeichen für einen gerissenen Geduldsfaden.

Unterstützung kam am Dienstag bei Twitter von Umweltinitiativen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion und Attac, die die Durchsuchungen verurteilten. Dagegen begrüßte Unionsfraktionschef Friedrich Merz die Razzia. Die Aktionen der Gruppe hätten „mit Klimaschutz nichts mehr zu tun“, sagte der CDU-Vorsitzende am Dienstag in Berlin. Es gehe um gefährliche Eingriffe in den Straßen- und Luftverkehr, Nötigung, Hausfriedensbruch „und Straftatbestände gegen Leib und Leben der Bevölkerung“. Merz ergänzte: „Hier muss der Rechtsstaat Zähne zeigen. Das tut er. Ich begrüße das ausdrücklich.“

Am Dienstag sind Polizei und Staatsanwaltschaft in mindestens sechs Bundesländern gegen die Letzte Generation vorgegangen. Bekannt wurden Razzien in den Städten Mannheim, Leipzig und Cottbus. Betroffen waren Wohnungen und andere Räume in Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Ein Teil der Bundesländer wurde von den Aktivisten genannt. Elf Mitglieder seien im Visier der Ermittler, fünf seien derzeit im sogenannten präventiven Gewahrsam, um weitere Taten zu verhindern. Die Federführung liegt bei der Staatsanwaltschaft im brandenburgischen Neuruppin. Der Behörde zufolge wird ermittelt wegen Störung öffentlicher Betriebe und des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Grund sind demnach mehrere Attacken von Klimaaktivisten auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt (Brandenburg). Dabei sei die Ölzufuhr unterbrochen worden. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung könne gegeben sein, wenn sich Beschuldigte wiederholt zu Straftaten verabredeten.

Die Letzte Generation sieht sich „Einschüchterungsversuchen“ ausgesetzt. Man versuche, sie mundtot zu machen. „Wir wurden beschimpft, verurteilt, ins Gefängnis gesperrt. Mit den Ermittlungen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung erreicht dies ein neues Niveau.“ Das eigentliche Problem sei das Handeln der Regierung in der Klimakrise: „Das ist Rechtsbruch. Das ist kriminell.“ AFP/dpa