„Es ist nicht legal, eine Landebahn zu blockieren“
Die Evangelische Landesbischöfin in Baden, Heike Springhart, spricht über die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ und über die Selbstverpflichtung der Evangelischen Kirche, auf Autobahnen nicht mehr als 100 km/h zu fahren
Frau Springhart, Sie sind seit April im Amt, waren vorher Gemeindepfarrerin in Pforzheim. Formal ein Riesensprung, emotional auch?
Heike Springhart: Ja und nein. Letztlich bin ich als Bischöfin für die Landeskirche das, was ich als Pfarrerin für die Gemeinde war. Aber der Sprung in die öffentliche Person von heute auf morgen ist gewaltig.
Auch unangenehm?
Springhart: Ich bin ja Dorfkind. Ich kenne es, wenn jeder Schritt beobachtet wird. Ich gehöre zur Kategorie „schnelle Zunge“, da muss ich jetzt manchmal mehr aufpassen.
Wenn Ihre Amtszeit in zwölf Jahren endet, wird die von Ihnen verantwortete Landeskirche ein anderes Gesicht haben: weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, weniger Kirchen, weniger Gebäude. Zieht sich die Kirche aus der breiten Öffentlichkeit zurück?
Springhart: Nein, um Rückzug geht es nicht. Wir setzen als Kirche alle Energie daran, unter veränderten Bedingungen sichtbar, hörbar und spürbar zu bleiben. Wir werden uns dabei stärker als bislang fokussieren müssen. Wir wollen das tun, was wir als Kirche am besten können: Menschen mit einem eigenen Profil begleiten und in die Gesellschaft einen anderen Ton als andere einbringen.
Was soll Kirche in Zukunft leisten, was nicht mehr?
Springhart: Die Bandbreite an Gottesdienstformen wird sich künftig weiter erhöhen. Gerade in den Städten wird es nicht mehr in derselben regionalen Dichte den klassischen Sonntagvormittags-Gottesdienst geben. Es ist deutlich erhebender, einen Gottesdienst mit 50 als mit fünf Menschen zu feiern. Aber das heißt: Es wird nicht an jedem Ort das gleiche Gottesdienstprogramm geben. Kirche soll und wird auch zukünftig verlässlich für die Menschen da sein.
Was sagen Sie den Menschen, die um ihre alten Kirchen trauern, die im Zuge des Sparprozesses aufgegeben werden müssen?
Springhart: Wenn wir eine konkrete Kirche nicht mehr zentral finanzieren können, bedeutet das nicht automatisch den Abriss. Wir können aus dem Osten der Republik viel lernen, wo Bürgervereine Kirchen erhalten, auch wenn dort keine Gottesdienste mehr stattfinden. Diese Kirchen können Gasthäuser für die Seele sein. Sie können Cafés werden. Oder einfach Räume der Begegnung und der Stille. Hier müssen Kirche und Zivilgesellschaft aufeinander zugehen, um Ideen zu entwickeln.
Haben Schulen, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft eine Zukunft?
Springhart: Ja, die Diakonie ist ein starker Ausdruck von Kirche – dort wird das, was wir verkündigen am konkretesten spürbar. Wichtig ist, dass man in den Einrichtungen das kirchliche Profil auch wahrnimmt, etwa so, dass das Kirchenjahr bewusst begangen wird.
Pfarrer verwenden viel Zeit für die Vorbereitung von Sonntagsgottesdiensten, die dauerhaft schlecht besucht sind. Wenn bei uns im Journalismus manche Formate keinerlei Reichweite erzielen, dann lassen wir sie sein. Traut Kirche sich das nicht zu?
Springhart: Unsere Gottesdienste sind nicht generell schlecht besucht. Es gibt sehr ausstrahlungsstarke Gottesdienste, die die Menschen anziehen. Wir experimentieren viel bei Formaten, digital wie analog, auch bei den Zeiten, und der Strukturprozess wird dies beschleunigen.
Sie sind mit Dienstwagen und Fahrer zu diesem Interview gebracht worden. Haben Sie bei der Fahrt auf der Autobahn auf den Tacho geschaut?
Springhart: Das überlasse ich meinem Fahrer.
Sie hatten kein Gefühl für die Geschwindigkeit?
Springhart: Wir halten uns an Geschwindigkeitsvorgaben und an den strengen Fahrplan, als Kirche klimaneutral zu werden.
Die EKD hat auf ihrer jüngsten Synode eine Selbstverpflichtung beschlossen: Amtsträger fahren 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen. Mein früherer Fahrlehrer hätte mir bei so einem Fahrverhalten Verkehrsbehinderung vorgeworfen. Halten Sie sich dennoch daran?
Springhart: Zunächst zur Einordnung: Die Kirche kann nicht nur pausbäckig Forderungen erheben, ohne mit gutem Beispiel voranzugehen. Das ist der Hintergrund dieser Selbstverpflichtung. Ich gestehe, dass ich hier befürchte, dass aus der guten Absicht leicht Symbolpolitik wird. Wir sollten uns nach wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, und da sind ca. 120 oder 130 km/h mit Blick auf die Emissionen das deutlich sinnvollere Tempo.
Wen will die Kirche mit solchen Beschlüssen eigentlich erreichen oder gar beeindrucken?
Springhart: Wir haben in der EKD einen hohen Anteil an jungen Synodalen, die sagen: Was muss passieren, damit ihr euch in der Klimakrise endlich bewegt? Ändert euer Verhalten! Ich kann das nachvollziehen. Wir sind nicht die Schöpfer dieser Welt, haben aber eine Verantwortung für die Schöpfung. Wir müssen dabei aber die Grenzen dessen kennen, was wir erreichen können. Als Theologin setze ich auf die Hoffnung und den Tatendrang, alles uns Mögliche gegen die Klimakrise zu tun.
Empfinden Sie die Beschlüsse der EKD-Synode als übergriffig?
Springhart: Leitende Geistliche haben kein Stimmrecht. Ich habe die Abwägung der Synode vermisst, was politisch erreicht werden kann und welche öffentliche Wirkung mit solch einem Beschluss erzielt wird. Es ist ja kein Zufall, dass wir beide jetzt ausführlich darüber reden. Die Stimmen der jungen Synodalen haben großes Gewicht.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie aus der Landeskirche?
Springhart: Die sind ambivalent. Es gibt etliche Mitglieder, die positiv reagiert haben. Aber ich habe auch empörte E-Mails erhalten mit der Drohung, aus der Kirche auszutreten.
Die EKD hat sich auch mit den Klimaaktivisten der sogenannten „Letzten Generation“ solidarisiert. Diese Menschen kleben sich auf Straßen und Landebahnen. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie von einer neuen Aktion erfahren: Sympathie oder Verärgerung?
Springhart: Ich nehme vor allem die Verzweiflung von jungen Menschen wahr, die sich fragen, was sie noch alles tun sollen, um wahrgenommen zu werden. Ich kann auch den Ärger verstehen: Ist das die richtige Protestform? Medial werden Klimaaktivisten häufig auf eine Weise kriminalisiert, die moralisch nicht in Ordnung ist. Wir müssen alle für ein gesellschaftliches Klima sorgen, dass diese Themen nicht in populistischen Schwarz-Weiß-Debatten münden.
Eine Landebahn zu blockieren, ist nicht kriminell?
Springhart: Es ist nicht legal, eine Landebahn zu blockieren. Ich will diese Einzelaktionen auch nicht rechtfertigen. Ich glaube, dass dieser Versuch des Aufrüttelns nicht funktioniert. Mein Mittel der Wahl wär’s nicht. Wir müssen vielmehr ehrlich über unser tägliches Verhalten reden, auch über dessen Grenzen.