Zeitenwende in der Friedensethik?
Dekanat Adelsheim-Boxberg: Sondersynode fordert Akzentverschiebung im friedensethischen Kurs der evangelischen Kirche
Osterburken. „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“, das bekannte Lied von Jürgen Henkys haben die Synodalen des Evangelischen Kirchenbezirks Adelsheim-Boxberg noch einmütig gesungen. Doch um den Weg zu umfassenden Frieden wurde angesichts des brutalen Angriffskrieges des russischen Regimes gegen die Ukraine kontrovers gerungen.
Der Vorsitzende Pfarrer Karl Kreß aus Walldürn wies darauf hin, dass der Streit um die Legitimität von Gewalt oder Gewaltfreiheit als Mittel der Friedenssicherung quer durch die Familien ginge. In seiner Ansprache erinnerte er an die Folgen des Zweiten Weltkriegs, die er in seiner Seelsorge noch heute wahrnehme. Und bereitete sogleich den gemeinsamen Boden, dass angesichts von Leid und Not keiner schuldlos bleiben könne.
Dann kamen zwei herausragende Vertreter gegenwärtiger friedensethischer Konzepte zu Wort. Zunächst der Religionspädagoge Dr. Theodor Ziegler, einer der maßgeblichen Initiatoren des badischen Friedensprozesses, der seit 2013 Wege zur Praxis der Gewaltfreiheit in Konfliktlösungen und zum mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung sucht. Die Rüstungskonversion sei schon angesichts der ökologischen Krise dringend nötig: „Wir haben kein Geld für Schwerter und Pflugscharen“, ein starker Impuls seines Vortrags, der von den wegweisenden biblischen Friedensvisionen gesättigt war. Die Bundeswehr sei abzulösen von internationalen Polizeikräften und ziviler, auf Kooperation angelegter Sicherheitspolitik.
Dr. Roger Mielke, Militärdekan am „Zentrum für Innere Führung“ der Bundeswehr in Koblenz, setzte einen anderen Akzent: Zwar teile auch er die Auffassung, dass Gewaltlosigkeit Kern des Evangeliums Jesu sei. Schon das biblische Zeugnis sei aber spannungsreicher und kenne auch die Aufgabe des Staates, dem Bösen mit Gewalt Einhalt zu gebieten (Römer 13). Mit dem Angriffskrieg des russischen Regimes müsse auch die deutsche Gesellschaft spätestens seit Februar aus dem sicherheitspolitischen Schlaf aufwachen und realisieren, dass nicht jeder in der Welt zu Kooperation bereit sei. Zum Widerstand gegenüber imperialen Absichten und zur Nothilfe eines überfallenen souveränen Landes wie die Ukraine gehörten auch militärische Mittel. So forderte Mielke, die Bundeswehr für ihre Aufgaben angemessen auszurüsten und den Dienst der Soldaten in einer demokratischen Gesellschaft auch vonseiten der Kirche wertzuschätzen.
So trafen in der Debatte die biblische Vision des Wegs der Gewaltfreiheit auf die Notwendigkeit, Solidarität in einer gewaltförmigen Realität der Welt zu gestalten. In den Gesprächsgruppen wurde entsprechend um den Auftrag der evangelischen Kirche gerungen. Der stellvertretende Dekan Philipp Tecklenburg legte der Synode ein friedensethisches Votum an die badische Landessynode vor, das mit Mehrheit beschlossen wurde. Darin wird die Landessynode aufgefordert, auf dem Weg zur Kirche des gerechten Friedens weiterhin Wege der gewaltfreien Konfliktlösung zu fördern. Komplementär dazu müsse auch der Dienst der Bundeswehr theologisch neu legitimiert und der Dialog mit der Evangelischen Militärseelsorge gesucht werden. „Friedensethisch verantwortliches Handeln braucht beides: Pazifisten und Soldaten“, so das Votum. Die Sondersynode war ein Beispiel, wie es im gemeinsamen Beten, Hören und Reden gelingen kann, Kontroversen und Spannungen auszuhalten. Allein das sei in einer sich polarisierenden Gesellschaft ein Zeichen der Kirche für eine Kultur des Friedens.