Miteinander ins Leben, raus aus der Angstfalle
Beim Diakonischen Werk erleben die Klienten Zuwendung und Hilfe in Lebenssituationen, die sie nicht mehr allein meistern können
Von Ursula Brinkmann
Mosbach. Mut machend, ja, fast verheißungsvoll klingen die drei Worte „Miteinander ins Leben“. Es ist das Motto der diesjährigen Woche der Diakonie, das beschreibt, wie die evangelische Kirche ihren sozialen Dienst im Jahr drei der Pandemie versteht. Das Diakonische Werk im Neckar-Odenwald-Kreis hat die drei Worte auch gewählt als Überschrift über zwei Artikel, die in der RNZ erscheinen und die davon handeln, was die Arbeit der Beraterinnen und Berater in diesen Zeiten ausmacht.
„Was haben die letzten zwei Jahre unter Corona-Bedingungen nicht alles von unseren Klienten abverlangt.“ Heike Nowatschka kann sich in die Situation ihrer Klienten hineinversetzen. „War es für Menschen mit geregeltem Alltag und guten sozialen Beziehungen schon schwer, so war für viele psychisch erkrankte Menschen plötzlich alles anders.“ Die Diplompädagogin schildert den Fall von Frau P., die wegen einer Angsterkrankung seit ein paar Jahren mit Erwerbsminderungsrente ihr Leben bestreitet und sehr zurückgezogen lebt.
„Von einem Tag auf den anderen war ihr kleines Lebensgerüst zusammengebrochen.“ Die vertrauten Hausbesuche und Begleitungen durch Heike Nowatschka vom Sozialpsychiatrischen Dienst fielen weg. Dieser hat zum Ziel, die ambulante Grundversorgung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder Behinderung zu gewährleisten. Doch übers Telefon konnten Beraterin und Klientin den Kontakt aufrechterhalten. Seit dem Frühjahr sind wieder gemeinsame Gänge und Gespräche möglich. Aber es bedürfe noch einiger Übung, damit Frau P. wieder Kontakte mit anderen Menschen aufnehmen könne. „Ich bin froh“, berichtete die Klientin ihrer Beraterin, „jemanden an meiner Seite zu haben, einen festen Termin in der Woche, auf den ich mich freuen kann, und der mir Sicherheit gibt.“ Miteinander, mit der Unterstützung durch den Sozialpsychiatrischen Dienst, traut sich Frau P. wieder ins Leben.
Frau K. hat sich aus einem anderen Grund an die Diakonie gewandt. Verzweifelt habe sie in der Beratung der Psychologischen Beratungsstelle der Diakonie Neckar-Odenwald gesessen, schildert Hanna Voget den Fall einer Frau, deren Eltern selbst einst Flucht und Vertreibung erlebt hatten. Einerseits verfolgte die Frau die Kriegsnachrichten aus der Ukraine übermäßig, andererseits litt sie immer mehr unter ihnen. „Ich halte diese ganzen Nachrichten nicht mehr aus!“ Die Psychologin kennt K.s Bedürfnis nach Sicherheit und riet dazu, nur noch einmal täglich die Nachrichten zu sehen oder zu hören. „Außerdem haben wir gemeinsam eine Struktur entwickelt, wie Frau K. achtsamer entscheidet, was wann dran ist: Arbeit und Erholung, Ein- und Ausschalten, Ruhe- und Aktivphasen.“ Frau K. lernte, bewusster zu entscheiden und zu wechseln, um von der Flut der Informationen nicht aus der Bahn geworfen zu werden.
In der Beratung überlegte die Psychologin außerdem gemeinsam mit ihrer Klientin, wo sie sich außerhalb ihres Berufes als wirksam erlebt. Denn ihren ursprünglichen Berufswunsch hatte Frau K. ihren Eltern und deren Sicherheitsbedürfnis zuliebe nicht umgesetzt. Und weil sie an der politischen Lage nichts verändern kann, wurde über Möglichkeiten nachgedacht, sich in einem Ehrenamt zu engagieren – für die Natur, für andere Menschen? Frau K. griff die Anregungen auf, ihr Leben aktiver zu gestalten und ihr Leben neu in die Hand zu nehmen. Miteinander ins Leben.
Was tut mir jetzt gut? Diese Frage behandelte Hanna Voget auch mit einer anderen Klientin. Frau M. hatte ihren Mann verloren und war mit ihrer vierjährigen Tochter allein. Zwischen Wut und Trauer schwankend konnte sie nicht akzeptieren, was passiert war, ihr Blick, wie ihr Leben weitergehen könnte, war ganz verstellt. „Zum Glück hatte sie ein Umfeld, das ihr auch bei der Betreuung der Tochter half“, stellte Voget fest. Die Psychologin half der Witwe, zu verstehen, dass Kinder anders als Erwachsene trauern. „Sie sind stark im Jetzt: Sie können in einem Moment traurig sein, im nächsten intensiv spielen und dann wieder traurig sein – oder auch wütend, dass das Leben auf einmal so anders ist, und der geliebte Papa fehlt.“
Das ebenso zu akzeptieren wie das Loslassen der einstigen Lebenspläne, war Inhalt der Beratungsgespräche von Frau M. und Hanna Voget, die auch Raum für Trauer schuf, denn an das Thema Tod wagen sich viele nicht heran. „Trauernde erleben immer wieder, dass die Umgebung ihnen signalisiert, dass es jetzt genug sei mit der Trauerarbeit und endlich Alltag einkehren sollte.“ Doch diese Prozesse bräuchten Zeit, damit der Schmerz integriert werden kann und nach und nach ein neuer Zukunftsentwurf entstehen könne. Miteinander-ins-Leben.
Das multiprofessionelle Team der Psychologischen Beratungsstelle der Diakonie versteht sich – das zeigen die drei Fälle – als hilfreiche Begleitung auf den verworrenen, verschütteten oder noch unbekannten Wegen, die ins Leben (zurück)führen.
Info: Terminvereinbarungen beim Diakonischen Werk im Neckar-Odenwald-Kreis sind telefonisch unter (0 62 61) 9 29 91 00 für Mosbach und (0 62 81) 56 24 30 für Buchen von 9 bis 12 Uhr möglich. Zusätzlich bietet das Diakonische Werk auch Online-Beratung in einer sicheren Umgebung an. Hinweise dazu stehen auf der Website: www.diakonie-nok.de/rat-hilfe/psychologische-beratungsstelle